Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
potenzierten sich diese Schwierigkeiten noch. Wieder fand sich kein Drucker. Erst Anfang 1919 erklärte sich einer bereit, ein paar Episoden für eine Veröffentlichung im Egoist zu übernehmen. Harriett Shaw Weavers Ehrgeiz aber ging weiter: Sie wollte den Ulysses in Buchform publiziert sehen. Im Frühjahr 1918 brachte Roger Fry Leonard und Virginia Woolf mit ihrer Hogarth Press ins Spiel. Am 18. April kam Miss Weaver zum Tee ins Hogarth House und brachte ein in Packpapier eingeschlagenes Paket mit, das die fertiggestellten Teile des Manuskriptes enthielt. »Wir legten dies beachtliche Stück Dynamit in die oberste Schublade einer Kommode im Wohnzimmer«, notierte Leonard Woolf später in seiner Autobiographie. Seine Frau Virginia konnte mit der Besucherin wenig anfangen, ja, ihre Altjüngferlichkeit forderte geradezu ihren »weltmännischen« Zorn heraus. So steht es in ihrem Tagebuch:
Ich tat mein Bestes, sie dazu zu bewegen, sich ihrer äußeren Erscheinung zum Trotz, als die Frau zu erkennen zu geben, die sie als Herausgeberin des Egoist eigentlich sein sollte, aber sie blieb unverändert bescheiden, vernünftig und sittsam. Ihr ordentliches mauvefarbenes Kostüm passte zu Seele und Körper gleichermaßen; ihre grauen Handschuhe, die sie adrett neben den Teller legte, symbolisierten häusliche Korrektheit; ihre Essmanieren waren die eines wohlerzogenen Huhns. Wir konnten kein Gespräch in Gang bringen. Vielleicht fühlte sich die arme Frau gehemmt, weil das, was sie da in dem braunen Packpapier hatte, so überhaupt nicht in Einklang mit ihrem eigenen Inhalt stand. Aber wie kam sie nur jemals mit Joyce und den übrigen in Berührung? Warum will sich deren Schmutz aus ihrem Mund ergießen? Weiß der Himmel. Geschäftlich ist sie unkompetent und war sich unsicher darüber, was für Abmachungen sie treffen sollte … Und so ging sie denn.
Miss Weaver war, gelinde gesagt, eine widersprüchliche Frau. Charakteristisch für sie ist ein Zwischenfall aus ihrer Kindheit, den sie erst fünfzig Jahre später einer Nichte gestand. Früh hatte sie Literatur zu lesen begonnen, teils aus Leidenschaft für Bücher, teils aus Trotz gegen die rigide Erziehung der Eltern, die die Lektüre ihrer Kinder überwachten und Romane als unpassenden Lesestoff für Mädchen erachteten. Eines Tages erwischte sie ihre Mutter dabei, wie sie sich gerade in die ersten Seiten von Adam Bede vertiefte – jenen seinerzeit wohlbekannten Roman aus der Mitte des 19. Jahrhunderts von George Eliot, der vom Schicksal einer jungen Frau erzählt, die ein uneheliches Kind zur Welt bringt. Die Autorin war aber auch für ihren nach damaligen Maßstäben unmoralischen Lebenswandel bekannt; mehr als zwanzig Jahre hatte sie mit einem Mann zusammengelebt, ohne mit ihm verheiratet zu sein. Die Mutter schickte Harriet sofort auf ihr Zimmer und rief nach dem Pfarrer. Der hielt dem Mädchen eine Standpauke und nahm ihr das Buch weg. Fortan las sie heimlich und spaltete ihr Leben zwischen einer nie abbrechenden Loyalität zur Familie und ihrem literarischen und feministischen Engagement auf. Ihr in vieler Hinsicht heimliches Leben für Joyce war Teil dieses anderen Aspektes ihrer Persönlichkeit, den sie nicht nur vor ihrer Familie verborgen hielt, sondern der sich auch in ihrem Auftreten nicht niederschlug. In ihrer äußeren Erscheinung blieb sie zeitlebens das seltsam sittsame und verdruckste Wesen, das Virginia Woolf allein in ihr wahrnahm und mit dem sie nichts anzufangen wusste. Trotz der gleichen Herkunft aus viktorianischen Verhältnissen war sie selbst aus ganz anderem Holz geschnitzt, ersichtlich etwa schon daran, dass die berüchtigte George Eliot ein gerne gesehener Gast ihrer Eltern gewesen war.
Dass die Woolfs den Ulysses damals ablehnten, dürfte ihr größter Fehler als Verleger gewesen sein. Nach außen hin begründeten sie ihre Entscheidung mit den begrenzten Kapazitäten ihrer Handpresse und damit, dass der Verlag nur eine Nachmittagsbeschäftigung sei. Zudem hatte Leonard Woolf berechtigte Zweifel, ob er für das Buch einen Drucker finden würde. Dahinter verbarg sich aber mehr. Virginia Woolf hat sich ihr ganzes Schriftstellerleben an der Herausforderung abgearbeitet, die der Ulysses für sie darstellte. Die Technik des Bewusstseinsstroms teilte sie sogar mit Joyce. Ihren Vorbehalt brachte T. S. Eliot auf den Punkt, als er einmal zum Tee bei den Woolfs war: » Wie kann man überhaupt noch schreiben, nachdem diese immense Ungeheuerlichkeit des
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