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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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letzten Kapitels einmal erreicht ist?« Nach dem Ulysses sei nichts mehr übrig, worüber man noch ein Buch schreiben könne. Virginia Woolf misstraute dieser ultimativen Rhetorik und hielt sie für eine männliche Attitüde, ebenso wie ihr der Materialismus des Buches, seine Unanständigkeit, Unbehagen bereitete. Diese Vorbehalte konnten Züge klassenkämpferischer Arroganz annehmen, wenn sie den Ulysses als » das Buch eines bildungsbeflissenen Arbeiters« abkanzelte, eines » ekelhaften Studenten, der seine Pickel kratzt«. Letztlich aber wollte sie die empfindliche, tastende, experimentierende Art ihres eigenen Schreibens vor dem Feuersturm in Sicherheit bringen, den Joyc e ’ Monsterroman in der Literatur entfacht hatte. Ernest Hemingway, der Virginia Woolfs Vorbehalte gegenüber Joyce’ Persönlichkeit teilte, machte es sich da leichter, indem er den Verdienst des Ulysses gerade darin sah, nun alle Schranken durchbrechen zu können.
    Noch bevor sich Harriett Shaw Weaver weitere Absagen von Druckern und Verlegern in England einhandelte, bereiteten in den USA zwei Frauen dem Ulysses den Weg. Die Schriftstellerin Margaret Anderson hatte 1914 die avantgardistische Literaturzeitschrift The Little Review gegründet. Auf einer Party hatte sie zuvor verkündet, es sei Zeit für eine Zeitschrift, die keine Kompromisse mit dem öffentlichen Geschmack eingehe. Auch hier erschien Joyc e ’ Porträt in Fortsetzungen. 1916 stieß die Journalistin Jane Heap, eine ehemalige Geliebte der Schriftstellerin Djuna Barnes, zur Little Review . Wie bei Sylvia Beach und Adrienne Monnier wurde eine Beziehung daraus, in der Beruf und Liebe zu einer Einheit verschmolzen. Als Joyce Auszüge aus dem entstehenden Ulysses schickte, zeigten sich Margaret Anderson und Jane Heap sofort begeistert: » Das ist das Schönste, was wir je haben werden. Wir werden es drucken, und wenn dies die letzte Bemühung unseres Lebens sein sollte.« Mit solchem Todesmut steuerten Herausgeberin und Redakteurin auf die Klippe der Zensur zu. Insgesamt vier Nummern der avantgardistischen Literaturzeitschrift wurden in der Folge wegen Ulysses -Vorabdrucken konfisziert und verbrannt. Es drohte eine Anklage wegen Pornographie. Als Joyce davon erfuhr, schrieb er an Harriet Shaw Weaver, er träume von einem Prozess, der sein Buch so berühmt machen sollte wie seinerzeit Flauberts Madame Bovary .
    Im September 1920 reichte die New York Society for the Suppression of Vice, die New Yorker Gesellschaft zur Bekämpfung des Lasters, tatsächlich Klage gegen die beiden Frauen ein. Margaret Anderson und Jane Heap wurden unentgeltlich von dem Anwalt John Quinn verteidigt, einem Bewunderer von Joyce, der dem notorisch klammen und stets über seine Verhältnisse lebenden Autor für jedes fertiggestellte Kapitel des Ulysses , das er von ihm erhielt, einen Scheck ausstellte. Nach mehreren Vertagungen begann die Verhandlung im Februar 1921. Quinn bot unter anderem den Romancier und Populärphilosophen John Cowper Powys als Zeugen auf. Der erklärte mit ein wenig zu dick aufgetragener Naivität, der Ulysses sei »ein schönes Kunstwerk, in keiner Weise angetan, die Gemüter junger Mädchen zu verderben«. Ein anderer Zeuge Quinns berief sich zur Rechtfertigung von Joyc e ’ Freizügigkeiten auf Sigmund Freud – einen Namen, den die drei Richter noch nie gehört hatten.
    Im Anschluss an die Zeugenvernehmung sollten vom Kläger ausgewählte Passagen aus dem Roman vorgelesen werden, um den Pornographievorwurf zu belegen. Einer der Richter drang darauf, dass dies nicht in Gegenwart der beiden Damen geschehe. Amüsiert erhob sich Quinn und wies auf Margaret Anderson: »Aber sie ist doch die Verlegerin.« Er sei davon überzeugt, sie habe die Bedeutung dessen, was sie veröffentlichte, nicht verstanden, erwiderte der Richter so höflich wie paternalistisch. Als die Stellen dann tatsächlich zu Gehör gebracht wurden, erklärten zwei der Richter sie für unverständliches Zeug, was den eitlen Quinn zu der seiner Ansicht nach brillanten Bemerkung veranlasste, ein »unverständliches« Werk könne auch niemanden verderben. Das inkriminierte dreizehnte Kapitel des Ulysses , die Nausikaa-Episode, erzählt, wie Leopold Bloom, der Held des Romans, beim Anblick der Beine einer jungen, ihm unbekannten Frau masturbiert und sie, statt entrüstet davonzulaufen, durch das Zurschaustellen von immer mehr Bein und Schlüpfer ihn zum Höhepunkt treibt. Dessen allmähliches Erreichen verknüpft Joyce

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