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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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kunstvoll mit der Schilderung eines Feuerwerks, das gerade über Dublin abgeschossen wird. Das hörte sich für die Menschen im Gerichtssaal dann etwa so an:
    … und er hatte freien Blick voll hoch hinauf über ihr Knie, so weit wie noch keiner, nicht einmal in der Schaukel oder beim Waten, und sie schämte sich nicht und er ebenfalls nicht, in so unanständiger Weise so hinzusehen, weil er dem Anblick der wundervollen Enthüllung nicht zu widerstehen vermochte … Und dann sprang eine Rakete hoch und schoss peng blind und O! dann barst die Leuchtkugelröhre auseinander und es war wie ein seufzendes O! und alles schrie O! und O! in Verzückung und es ergoss sich daraus ein Strom goldregnender Haarfäden und sie schimmerten auseinander und ah! Da warens auf einmal lauter grünliche tauige Sterne die niederfielen mit güldenen, O so lebendig! O so sanft, süß, sanft!
    Quinn verglich die literarische Technik mit der des Kubismus; das Werk sei zwar geschmacklos, aber nicht pornographisch. Die wutschnaubende Entgegnung des Staatsanwalts, die er auf diese Weise provozierte, deutete er als besten Beweis dafür, dass der Roman von Joyce nicht, wie ihm vorgeworfen, scharf, sondern bloß wütend mache. Damit brachte er die Richter zwar zum Lachen, nichtsdestoweniger verurteilten sie die Angeklagten wegen Verbreitung obszöner Literatur zu einer milden Geldstrafe und verfügten, der Ulysses dürfe nicht weiter in The Little Review erscheinen. Hinsichtlich der Auswirkungen kam das einem Publikationsverbot gleich, denn nun wollte kein Verleger mehr das »schmutzige« Buch anrühren. Nach dem Verlassen des Gerichtssaals wandte sich Quinn, der seine Klientinnen zuvor angewiesen hatte, das Argumentieren ganz ihm zu überlassen, noch einmal an die beiden Damen, als handelte es sich bei ihnen um zwei ungezogene Kinder: »Und jetzt veröffentlichen Sie um Gottes willen keine obszöne Literatur mehr!« »Und wie soll ich wissen, ob etwas obszön ist?«, fragte Margaret Anderson zurück.
    Sylvia Beach war mithin schon die vierte Frau, die sich am Ulysses die Finger zu verbrennen gedachte. Den von ihr verehrten Joyce hatte sie nach seiner Ankunft in Paris im Sommer 1920 auf einer Party kennengelernt. Bereits am Tag darauf besuchte er sie in Shakespeare and Company und wurde Mitglied der Leihbücherei. Schon bald war Joyce ein Solitär in »Odéonien«, wie Adrienne Monnier die geistige Landschaft nannte, die von den beiden in der Rue de l’Odéon einander gegenüberliegenden Buchhandlungen gebildet wurde. Wegen seiner schlechten Haltung und seiner ständigen Jeremiaden hieß Joyce bei Adrienne und Sylvia nur »melancholischer Jesus« oder »gebeugter Christus«. Als es im Anschluss an den New Yorker Prozess zu weiteren definitiven Absagen von Verlegern kam, war für Joyce die Stunde der größten Verzweiflung gekommen. Völlig niedergeschlagen und mutlos wandte er sich an Sylvia Beach: »Jetzt wird mein Buch nie herauskommen« – so berichtet sie es jedenfalls in ihren Memoiren.
    Und da saß nun James Joyce in meinem kleinen Buchladen und seufzte tief. Auf einmal kam mir der Gedanke, dass man doch etwas unternehmen könne, und ich fragte: »Würden Sie Shakespeare and Company die Ehre erweisen, Ihren Ulysses herausbringen zu dürfen?« Er nahm mein Angebot auf der Stelle mit Freuden an. Mir kam es übereilt vor, dass er seinen großen Ulysses einem so komischen kleinen Verleger anvertraute, aber er war offenbar begeistert und ich natürlich auch. Beim Abschied befanden wir uns, glaube ich, beide in sehr bewegter Stimmung.
    Mit dem Entschluss, als Buchhändlerin auch Verlegerin zu werden, setzte Sylvia Beach fort, was ihr bislang einigen Erfolg eingebracht hatte: in den Spuren Adrienne Monniers zu wandeln. Ihre Freundin hatte diesen Schritt bereits vor zwei Jahren vollzogen: Im Verlag ihrer Buchhandlung erschienen seitdem die Cahiers des Amis des Livres sowie Bücher von Paul Claudel, Paul Valéry und Valery Larbaud. Allerdings war das Verlegen eines englischsprachigen Siebenhunderseitenromans in Frankreich, der zudem noch unter Pornographieverdacht stand, ein ungleich größeres Wagnis als die Herausgabe des Lyrikbandes eines zur Avantgarde zählenden muttersprachlichen Autors. Joyce soll anfangs an eine Auflage von gerade einmal einem Dutzend Exemplaren gedacht haben; selbst dann würden noch welche übrigbleiben. Das war natürlich auch zur Schau gestellte (vermeintliche) Bescheidenheit; Joyce wäre nie auf den Gedanken gekommen,

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