Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
und Kleber, sondern auch den Geruch der Zeit und all jener Orte, an denen es sachgemäß oder unsachgemäß aufbewahrt wurde. Es kann frisch und streng riechen, wenn es gerade aus der Druckerei kommt, aber auch modrig, nach feuchtem Keller. Mit der Zeit zeigt es die Spuren seiner Besitzer: Kaffee- oder Rotweinflecken, Eselsohren, Knicke, Einrisse, das Papier leicht gebräunt und stockfleckig, der Einband angestaubt, bestoßen und lichtrandig.
Das alles spricht keineswegs dagegen, dass bei einem Buch letztlich der Inhalt entscheidend ist – das, was der Autor zu sagen hat und wie er es sagt. In der Hogarth Press erschienen Originalausgaben von Katherine Mansfield, T. S. Eliot, E. M. Forster, Roger Fry, Vita Sackville-West, Robert Graves, Übersetzungen von Gorki, Tschechow, Tolstoi, seit 1924 die Veröffentlichungen der International Psycho-analytical Library und viele Werke von Sigmund Freud in englischer Übersetzung. Schon bald gaben Virginia und Leonard den Ehrgeiz auf, jedes Werk mit den eigenen Händen zu setzen und zu drucken, und bedienten sich vor allem bei umfangreicheren Werken der Hilfe professioneller Druckereien. Seit 1920 hatten sie auch einen Angestellten, erst einen Mann, später eine Frau, die von der Idee beseelt war, der erste weibliche Drucker zu werden. Zugleich aber schufen sie sich kleinere Reihen von literarischen Essays und politischen Pamphleten, die ihnen ermöglichten, weiterhin auch Bücher mit den eigenen Händen herzustellen.
Das »Drumherum«, vom gut lesbaren Satzbild über die Papierqualität bis hin zur Umschlaggestaltung, ausgeführt von zeitgenössischen Künstlern und Designern, hielten die Woolfs dennoch keineswegs nur für Verpackung oder gar überflüssigen Tand. Es ging nicht darum, Preziosen zu fertigen, sondern Bücher zu machen, die Hand und Auge Vergnügen bereiten und so den Inhalt beim Leser »ankommen« lassen. Bücher sind eben keine bloßen Gefäße für Gedanken, keine Konservendosen für die beste Qualität intellektueller Ernten. Ein Buch war für Virginia Woolf eine körperlich-seelisch-geistige Gesamtheit, zu der seine Stofflichkeit und Gestalt genauso gehörte wie die Stimmung, in die es seinen Leser versetzt, und der Geist, der ihn bei der Lektüre ergreift.
» Welch eine enorme Fruchtbarkeit des Vergnügens für mich in Büchern liegt«, jubelt die schon über fünfzigjährige Virginia, als sei sie noch immer der Backfisch aus viktorianischen Zeiten, in einer Tagebuchnotiz, geschrieben zu Beginn eines Sommers auf dem Land: » Ich ging hinein und fand den Tisch mit Büchern beladen. Ich habe in alle hineingesehen und hineingeschnuppert. Ich konnte nicht widerstehen, dieses mitzunehmen und anzulesen. Ich glaube, ich könnte hier glücklich leben und immerzu nur lesen.« An Ethel Smyth, die Freundin, Geliebte und Mitstreiterin in Sachen Emanzipation, schrieb sie 1934 sogar: »Manchmal denke ich, der Himmel, das muss ein einziges fortwährendes unangestrengtes Lesen sein.« Ein Himmel, den man allerdings schon auf Erden betritt, wie ihr Essay Wie man ein Buch lesen soll? verrät. An dessen Ende erzählt sie beinahe einen Witz. Ein einziges Mal in ihrem Werk ergreift der Allmächtige das Wort, aber nur um sich als unzuständig zu erklären. Als der liebe Gott Neuankömmlinge mit ihren Büchern unter dem Arm den Himmel betreten sieht, wendet er sich »nicht ohne gewissen Neid«, wie Virginia Woolf sagt, an Petrus: »Schau, diese da brauchen keine Belohnung. Wir haben ihnen hier nichts zu geben. Sie liebten das Lesen.«
Heinrich Guttmann, »Die Buchhändlerin Sylvia Beach vor ihrem Buchladen Shakespeare and Company
in der Rue de l ’Odéon, Paris«, veröffentlicht in Tempo, 28.01.1929,
© Heinrich Guttmann/ullstein bild
Ein Einbrecher am helllichten Tag? Nein, es ist der junge Komponist George Antheil, der wieder einmal den Schlüssel zu seinem Appartement vergessen hat und nun über das Schild des Buchladens Shakespeare and Company in die eigene Wohnung einsteigt. Die Dame in der Mitte, die Eigentümerin der Buchhandlung, präsentiert den Klimmzug wie eine Varieténummer. Und der Herr links mit Hut, der sich im Vorbeischlendern nach dem Spektakel umblickt – das könnte James Joyce sein, dessen als »obszön, unzüchtig, lasziv, nichtswürdig, anstößig und widerlich« gebrandmarktes Jahrhundertwerk ohne den Mut der Buchhändlerin womöglich gar nicht erschienen wäre.
12
Paris, 1922
Joyce und die Frauen
Es ist der 2. Februar 1922, ein kalter
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