Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
BDSM befriedigen – ohne es selbst praktizieren zu müssen. Und das ist genial, oder?« So verschafft man sich als fleißige Bestseller-Leserin auch im Bett Informationsvorsprung.
Für die zweite Welle der Frauenbewegung, die sich seit den 1970er Jahren im Gefolge der Studentenbewegung aufbaute, war eine extrem skeptische, nicht selten ablehnende Haltung zum Sex repräsentativ. Da war die Rede von aggressiver Penetration, von der Ehe als anderer Form der Prostitution und vom Damoklesschwert der ungewollten Schwangerschaft. Keine Frage: Der Feind lag im eigenen Bett. Zeitweise hatte man den Eindruck, als ob die Pille und das neue Körperbewusstsein der Make-Love-not-War-Generation ausschließ lich den Männern sexuelle Freiheiten gebracht hätten. Offensichtlich wurde diese Haltung vor allem in der vehementen, übers Ziel hinausschießenden Ablehnung jeder Form von Pornographie. Pornographie, das war aus der Sicht vieler Feministinnen das schlechthin Böse: nicht nur Ausdruck einer für unsere Gesellschaft charakteristischen Herabwürdigung der Frau, sondern auch Anstachelung zur Gewalt gegen sie. Unterschiede wurden da gar nicht erst gemacht: Das Verdikt traf die Titelgestaltung von Illustrierten, Helmut Newtons Aktfotografie, Pornofilme und die Geschichte der O gleichermaßen. Kurz und kategorisch galt: PorNo.
Die Generation der nachwachsenden jüngeren Frauen sieht darin nicht nur eine Neuauflage jener Prüderie, gegen die etwa schon Thomas Hardy angeschrieben hatte, sondern auch einen Akt der Bevormundung. Feminismus, so ihr Argument, sei nicht gleich Blümchen- oder Kuschelsex, im Gegenteil müsse er größtmögliche Liberalität bei der Frage einschließen, welcher Sex für eine Frau gut sei und wie sie an Sex zu denken habe. Viele zweifeln mittlerweile daran, ob es in dieser Hinsicht überhaupt ein »richtig« geben kann beziehungsweise darf. Die geforderte Freiheit dürfe, ja, müsse sogar sadomasochistische Phantasien einschließen. Diese als Frau ins Spiel zu bringen, gilt bis heute als Provokation. Kategorisch hat etwa Alice Schwarzer verkündet: »Die Propagierung des weiblichen Masochismus durch Männer ist ein Angriff, durch Frauen ist es Kollaboration mit dem Feind.« Sadomasochistische Praktiken, wie sie in Shades of Grey geschildert werden, scheinen in der Tat der Prüfstein zu sein, an dem sich zeigt, wie weit die Frauenbewegung in Sachen Liberalität wirklich zu gehen bereit ist. Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl etwa, drei junge deutsche Feministinnen, schrieben in ihrem 2008 erschienenen Buch Wir Alpha-Mädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht : »Unsere Sexualität definieren wir und niemand anders. Nicht die Porno-Regisseure in der Mainstream-Industrie. Aber auch nicht Feministinnen, die uns erzählen, wie wir Lust empfinden, und was uns erniedrigt.« Daraus ergibt sich für sie als schlüssige Forderung, es müsse mehr und bessere Pornos geben, mit denen Frauen ihr sexuelles Repertoire erweitern könnten.
Kann die Lektüre von Shades of Grey dazu führen, das eigene sexuelle Repertoire zu erweitern? Der Kick, den das Buch auf das Gros seiner Leserinnen ausübt, dürfte eher darin liegen, die Grenzen ihrer Vorstellungen von sexueller Freiheit auszudehnen. Man mag gegen Shades of Grey sagen, was man will: E. L. James gelingt immerhin das Kunststück, die unheimlichen Seiten der menschlichen Sexualität – Grausamkeit, Grenzüberschreitungen und das Verlangen nach Unterwerfung und Demütigung – vom geläufigen Image der Perversität und Menschenverachtung zu befreien und als zwar ein wenig absonderliche, womöglich aber durchaus luststeigernde und unter Umständen sogar hilfreiche Erweiterungen der Sexualität darzustellen, die sie mit den dunklen Seiten unserer Persönlichkeit verknüpft. Zu diesem Zweck versäumt sie nicht, für Christian Greys sadomasochistische Obsessionen eine psychologische Erklärung zu liefern, die ihn beinahe zum Gegenstand unseres Mitleids macht. Seine Mutter, eine rauschgiftsüchtige Prostituierte, starb, als ihr Sohn vier Jahre alt war. Die ihm dadurch verbleibende Unsicherheit machte ihn zur leichten Beute einer Freundin seiner Adoptivmutter, die ihn mit fünfzehn verführte. Sechs Jahre lang war er ihr Sklave in einer SM-Beziehung. Nie ist er mit einem Mädchen ausgegangen. Nun als Erwachsener hat er die Struktur dieser ihn nachhaltig prägenden Beziehung beibehalten, die Bedingungen aber einfach umgekehrt und versucht, seine
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