Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Spiel einzulassen. Der aufmerksame Leser hat da noch Christian Greys Antwort auf ihre Frage im Gedächtnis, warum er ihr ausgerechnet Tess geschenkt habe. Einzig und allein, weil sie Thomas Hardy möge? Seine Augen sollen »dunkel und gefährlich« gefunkelt haben, als er sagte: »Es schien mir passend. Ich könnte ein unerreichbar hohes Ideal in dir sehen wie Angel Clare oder dich erniedrigen wie Alec d’Urberville.« Darauf sie, im Flüsterton:
»Wenn es nur zwei Wahlmöglichkeiten gibt, entscheide ich mich für die Erniedrigung.
[Pause.]
»Wenn du dich für Alternative zwei, die Erniedrigung, entscheidest, musst du das unterschreiben.« [Er legt ihre eine Verschwiegenheitsvereinbarung vor.]
»Und wenn ich nicht unterschreiben will?«
»Dann geht’s um hohe Ideale à la Angel Clare, jedenfalls den größten Teil des Buches.«
Wir verstehen: Die Aufforderung ist zugleich eine Warnung, gerichtet auch an die Leserin. Wenn sie keinen konventionellen Liebesroman möchte, in dem hohe Ideale anstelle von Sex verhandelt werden, dann möchten Heldin beziehungsweise Leserin bitte hier den Teufelspakt unterschreiben. Ansonsten drohen zur Strafe Konvention und Langeweile. Geschickt nutzt E. L. James den Roman von Thomas Hardy, um ihrem eigenen Werk ein gewisses spielerisches Element und einen literarischen Anstrich zu verleihen.
Trotz aller Anspielungen auf Thomas Hardys Roman hat dessen Beschreibungs- und Fabulierlust auf die Autorin von Shades of Grey leider wenig abgefärbt. Insbesondere in den Sexszenen der Trilogie fällt das ständige Rekombinieren eines sehr dürftigen sprachlichen Repertoires auf. Leserinnen und Leser des Romans – zumal solche, die ihn wegen seines anstößigen Inhalts als E-Book gelesen haben, in den USA waren das immerhin die Hälfte – haben sich einen Spaß daraus gemacht zu zählen, mit welcher Häufigkeit bestimmte Wendungen und Wörter auftauchen. Hier ein kleines Ranking, lediglich für Band 1:
94-mal wird gestöhnt, und zwar von beiden: mit rauer Stimme, in verzweifeltem Staunen, kaum hörbar, erregt oder auch atemlos.
44-mal ziehen sich die Muskeln in Anastasias Unterleib auf köstliche Weise zusammen.
38-mal kommt ihr Slip ins Spiel, zumeist wird er ausgezogen.
35-mal kommt es zu krampfartigen Zuckungen in Körperteilen.
34-mal kaut sie genüsslich auf ihrer Unterlippe.
18-mal stellen sich Orgasmen ein.
10-mal kommt es zum Höhepunkt.
Statt beim berühmt-berüchtigten Stellen-Lesen haben sich manche Leserinnen und Leser von Shades of Grey dabei ertappt, mit der Zeit die Sexszenen zu überblättern, die sich voneinander nur durch den jeweils zum Einsatz kommenden SM -Artikel unterscheiden. Wohl versichert uns die Ich-Erzählerin Anastasia unentwegt, wie erregend das ist, was ihr da geschieht, diesbezügliche Beschreibungen enthält sie uns jedoch vor. Mit der Zeit merken wir: Die Erregung ist bloße Behauptung, sie teilt sich nicht wirklich mit, geht nicht unter die Haut.
E. L. James, mit bürgerlichem Namen Erika Leonard, Mutter zweier Söhne, Leiterin bei einer TV -Produktionsfirma, hat Shades of Grey , wie sie sagt, erst einmal nur für sich selbst geschrieben – ohne jeden literarischen Ehrgeiz. Erste Versionen der Geschichte stellte sie unter dem Pseudonym Snowqueen’s Icedragon als Fanfiction zu Stephenie Meyers enorm erfolgreicher Twilight- Tetralogie (die deutschen Ausgaben haben die Titel: Bis(s) zum Morgengrauen , Bis(s) zur Mittagsstunde, Bis(s) zum Abendrot, Bis(s) zum Ende der Nacht ) ins Netz. Ihre Protagonisten trugen ursprünglich dieselben Namen wie die ihres Vorbilds, nämlich Edward Cullen und Bella Swan, und das Opus hatte den Titel The Master of the Universe . Bereits im Zentrum der Twilight -Saga steht eine junge Frau, die eine Liebesgeschichte mit einem phantastisch gut aussehenden, mächtigen und gleichwohl höchst gefährlichen Mann erlebt. Bei Meyer entpuppt sich der geheimnisvolle Liebhaber als Vampir; ihrer Heldin gelingt das Kunststück, gegenüber den heraufbeschworenen dunklen Mächten ihre Unabhängigkeit und Identität zu behaupten, ohne ihre Liebe preiszugeben. Damit das funktionieren kann, unterscheidet Meyer zwischen guten und bösen Vampiren: Gute Vampire sind Vegetarier (sic!), das heißt, sie trinken kein Menschenblut, und ihr Held Edward Cullen ist selbstredend einer von ihnen.
Dementsprechend prüde und moralisch korrekt geht es auch in ihrer Tetralogie zu, sodass böse Zungen schon behaupteten, die Mormonin Stephenie Meyer
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