Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

die reichen und mächtigen Herren, die alles schon kennen und sich zu langweilen beginnen, entzücken. Und es sind die Bildsamkeit und Beflissenheit der jungen Frau, die sie zur kongenialen Partnerin an der Seite des Mannes prädestinieren, der sie erzieht und zu einem Produkt von seinen Gnaden macht. Wie der Fortgang der Geschichte zeigt, die hier in immerhin drei dicken Schwarten erzählt wird, ist dieses Schema im Hintergrund in der Tat immer noch präsent. Allerdings hätte es kaum gereicht, um aus der Trilogie von E. L. James einen absoluten Topseller zu machen, der sich weltweit rund siebzig Millionen Mal verkaufte. In Zeiten, in denen Brillanz, Durchsetzungskraft, brennender Ehrgeiz und unbändiger Arbeitswille, bislang Erfolgskriterien für eine männliche Karriere, auch für den Aufstieg von Frauen relevant sind und von diesen durchaus adaptiert werden, muss ein Buch schon mit anderen Zutaten aufwarten, um eine derartige Sogkraft auszuüben.
    Das Thema, mit dem das gelingt, ist, wen wundert es, Sex. Denn anders als im Berufsleben scheinen auf diesem Terrain nach wie vor altmodische Vorstellungen und Sitten verbreitet zu sein. Eine Feministin hat die sozial akzeptablen Versionen von Männlichkeit und Weiblichkeit einmal so zusammengefasst: Männer, die in der Öffentlichkeit hart sind, seien privat zartfühlend; ehrgeizige, erfolgreiche Frauen hingegen im Herzen kleine Mädchen. Romantik wird so gleichsam die Eintrittskarte, die der Mann lösen muss, um eine Frau ins Bett zu bekommen. Und die Leser von Liebesromanen, die derlei Vorstellungen kultivieren, sind, das wissen wir inzwischen, beinahe ausnahmslos Frauen – so wie Anastasia Steele.
    Es ist Christian Grey selbst, der sie vor einer möglichen Dysfunktion dieses Modells in seinem Fall warnt, und wie das in Szene gesetzt ist, gehört zu den literarischen Highlights von E. L. James’ Romantrilogie, die sich ansonsten, in fühlbarem Gegensatz zu ihrem Thema, eher durch Beschreibungsimpotenz auszeichnet. Kurz nachdem sie ihn kennengelernt hat, erhält Anastasia ein Päckchen, in dem sich eine Erstausgabe des Romans Tess von Thomas Hardy aus dem Jahr 1891 befindet. Bei dem Fototermin für den Artikel in der Unizeitschrift hat sie ihm erzählt, dass sie gerne einmal England besuchen würde, denn das sei »die Heimat von Shakespeare, Jane Austen, den Brontë-Schwestern und Thomas Hardy«. Von Tess , dem Thema ihrer Abschlussprüfung, war da gar nicht explizit die Rede, was den Schluss nahelegt, dass Christian Grey selbst ein passionierter Romanleser oder (wahrscheinlich) einfach ein Kenner von Frauenherzen ist. Dem sündhaft teuren Lederbändchen liegt eine schlichte Karte bei, auf der in ordentlicher Schreibschrift steht:
    Warum hast du mir nicht gesagt, dass von Männern Gefahr droht? Warum hast du mich nicht gewarnt? Damen wissen, wovor man sich hüten muss, weil sie Romane lesen, die ihnen solche Listen zeigen.
    Anastasia erkennt das Zitat sofort – wie auch der aufmerksame Leser dieses Buches. Sie weiß, dass die blutjunge Tess diese Sätze an ihre Mutter richtet, nachdem Alec d’Urberville sie brutal verführt hat. Was Hardy da seiner Heldin am Ende des 19. Jahrhunderts in den Mund legt, ist beachtlich – die exakte Umkehrung des seinerzeit verbreiteten Klischees, wonach Romanlektüre den Frauen gefährlich wurde, weil sie ihnen die Unschuld in Liebesdingen raubte.
    Die Gefahr, die Anastasia droht, lernen Leserin und Leser bald kennen, wenn sie mit ihr einen Blick in Christians »Spielzimmer« werfen, das dieser der Studentin bei ihrem ersten Besuch in seiner Wohnung zeigt:
    Die burgunderfarbenen Wände und die Decke verleihen dem großen Raum etwas Uterusähnliches. Der Boden besteht aus altem, lackiertem Holz. An der Wand gegenüber der Tür hängt ein großes Andreaskreuz. Es besteht aus poliertem Mahagoni, an allen Ecken sind Ledermanschetten angebracht. Darüber befindet sich ein großes, von der Decke hängendes Metallgitter, an dem Seile, Ketten und glänzende Hand- und Fußfesseln baumeln. Bei der Tür entdecke ich zwei mit Schnitzwerk verzierte Stangen … daran ein ganzes Sortiment von Paddles, Reitgerten und seltsamen Gegenständen mit Federn …
    Was ist die angemessene Reaktion, fragt Anastasia sich, wenn man feststellt, dass der potenzielle Lover ein perverser Freak ist? Die naheliegendste Idee, die Flucht zu ergreifen, kommt ihr interessanterweise nicht. Der schlichte Grund dafür ist, dass sie längst entschlossen ist, sich auf das