Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
benutze den Roman als Instrument der Propaganda gegen vorehelichen Sex. Wahrscheinlicher ist indes, dass sie einfach die Geschichte von Samuel Richardsons Pamela noch einmal neu erzählt und Bella ihren Edward kriegt, indem sie ihn zum Triebaufschub anhält und seine Vorlust ständig steigert. Genau dort war aber auch die Lücke, die Erika Leonard mit ihrer Fanfiction ausfüllen konnte: Wem rund zweitausend Seiten lang vorenthalten wird, wonach doch jeder Vampir qua definitionem gieren muss, nämlich die schöne Erdentochter auszusaugen, dessen Bedarf an handfesten Szenen dürfte ins Unermessliche steigen. Nur allzu menschlich verständlich rückte bei Erika Leonard alias E. L. James so der Sex an die Stelle der Vampirmythologie, aus deren Fundus Stephenie Meyer ihre Keuschheitslegende schöpfte. Alles, was den Lesern der Twilight -Tetralogie vorenthalten wurde, steht in Shades of Grey ; kein Wunder, dass sie in Scharen überliefen.
Aber genau hier beginnt andererseits auch das Problem. Während Meyers Mehrteiler die erzählte Liebesgeschichte überhöht, indem sie sie ins Zwielicht des Vampirismus taucht, wird sie bei E. L. James durch das verwendete pornographische Vokabular auf die rein körperliche Ebene reduziert. Unsere Kultur hat eine reichhaltige pornographische Literatur hervorgebracht, die von Alkaios und Ovid über Gianfrancesco Poggio Bracciolini und François Rabelais, Marquis de Sade und Denis Diderot bis zu Georges Bataille und Henry Miller reicht. Dass E. L. James dort nicht fündig geworden ist, mag damit zu tun haben, dass diese Literatur in der Regel von Männern und aus einer männlich-sexistischen Sicht verfasst ist – wobei es mit Anaïs Nin, Pauline Réage (das Pseudonym von Anne Desclos, der Verfasserin der Geschichte der O ) und Catherine Millet gerade in den vergangenen Jahrzehnten prominente weibliche Ausnahmen gegeben hat. Stattdessen scheint sie sich in der ebenfalls reichlich vorhandenen Ratgeberliteratur zu diesem Thema umgetan zu haben. Ihre kunstlose, aufs Technische fixierte Prosa erweckt den Eindruck, an den Elaboraten der sexualtherapeutischen Industrie geschult zu sein, die, aus Amerika kommend, seit den 1950er Jahren den Markt überschwemmen. Sie geben vor, für jedes sexuelle Problem eine körperliche Lösung zu haben. Jeder Mensch, so ihr Credo, habe das Recht auf guten Sex vom Altar bis zum Grab, und hundertprozentige Befriedigung sei keine Illusion, sondern machbar. Damit verbunden ist allerdings die Tendenz, die menschliche Sexualität auf Stellungen und Techniken zu reduzieren, was man fragwürdig finden kann. Ist Sex tatsächlich in erster Linie eine Begegnung von Körpern, die sich auf rationalem und technischem Wege optimieren lässt, oder hat die Erregung, im besten Fall sogar die Ekstase, in die guter Sex uns geraten lassen kann, damit zu tun, einen Zustand der Intimität herzustellen, der frei ist von den gewöhnlichen Sach- und Kontrollzwängen? Wie dem auch sei, Versachlichung und Formelhaftigkeit scheinen der Preis dafür zu sein, dass wir bei der Darstellung sexueller Vorgänge zunehmend auf Explizitheit Wert legen.
Was Ratgeber in Form von Schaubildern, Checklisten und Anleitungen lösen (»Nehmen Sie den Penis Ihres Partners fest in die Hand …«), kann literarisch Schwierigkeiten bereiten. Sex, egal, ob verschieden- oder gleichgeschlechtlich, ist, aufs Körperliche reduziert, nun einmal recht einförmig; daran ändern auch die sechsunddreißig Stellungen, die es laut einer bekannten deutschen Boulevard-Zeitung allein mit Orgasmus-Garantie geben soll, nicht so viel. Auch was Männer und Frauen im Bett und außerhalb des Bettes während des Aktes zueinander sagen, dürfte insgesamt recht übersichtlich sein. In dieser Notlage mutet die Entscheidung, keine »normale« Liebesgeschichte zu erzählen, sondern eine Frau über ihre Erfahrungen mit den sadomasochistischen Obsessionen eines Mannes berichten zu lassen, fast wie ein Trick an, zu dem Zweck erdacht, das begrenzte Repertoire dessen, was über Sex fernab der poetischen Register überhaupt zu sagen ist, zu erweitern: Mit jedem neuen Gerät, das Christian Grey in seinem Spielzimmer in Betrieb nimmt, kommt immerhin auch eine neue Facette ins Spiel, zumal eine, die der gewöhnlichen Leserin des Buches, die mit derartigen Praktiken wenig Erfahrung haben dürfte, unbekannt ist. Wie drückte es eine Leserin, die das Buch wärmstens empfahl, doch so schön aus: »Man kann damit wunderbar seine Neugier zum Thema
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