Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
hatte in seinen Augen keine Chance, noch irgendwie zusammenzukommen; zu groß waren die Abgründe, die sich, verursacht nicht zuletzt durch das Verhalten der Familie Clarissas, zwischen ihnen aufgetan hatten. Nichtsdestoweniger begann auf diese Weise einer der umfangreichsten und warmherzigsten Briefwechsel zwischen einem Autor und einer Leserin.
Dorothy Bradshaigh, wie die Briefeschreiberin hieß, stammte aus dem Landadel, war um die vierzig und eine keineswegs untypische Leserin ihrer Zeit. Sie war mit freien Stunden gesegnet und verwendete unendlich viele davon auf Lektüre, die stets von großen Emotionen begleitet war. Der Roman und die zahllosen Briefe, die sie Richardson schrieb, müssen ihre Hauptbeschäftigung für Wochen, ja, Monate gewesen sein. Der Briefwechsel von Autor und Leserin liest sich wie ein eigener Briefroman. Lesen und Leben wurden hier beinahe deckungsgleich. Solange die Lektüre sich hinzog, lebte die Leserin mit den Figuren des Romans förmlich zusammen. Deren Innenleben mag ihr in vieler Hinsicht vertrauter gewesen sein als das der Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Auch heute begleitet das Personal der Telenovelas und Soap-Operas die Zuschauer manchmal über Jahre hinweg, mit dem Effekt, dass ihnen die »Fernsehfreunde« zumindest nicht weniger wirklich erscheinen als ihre »richtigen« Freunde. In seinen Antwortschreiben versuchte Richardson, der mitfühlenden und häufig verstörten Leserin von Clarissa begreiflich zu machen, dass ihre Feinfühligkeit keine Schwäche darstellte, sondern ein Zeichen von wahrer Menschlichkeit war: die beste Voraussetzung nicht nur fürs Lesen, sondern auch fürs Schreiben von Romanen und nicht zuletzt für eine bewusste Lebensführung.
G. Periam, zeitgenössischer Kupferstich nach dem Gemälde Clarissa Harlowe
in the Prison Room of the Sherrif’s Office« von Charles Landseer, 1755,
© Hulton Archive/Getty Images
Die Romane des 18. lebten im 19. Jahrhundert fort, ebenso die seinerzeit festgelegten Geschlechtscharaktere, wie dieser Kupferstich zeigt. Er entstand annähernd neunzig Jahre nach dem Erscheinen von Richardsons Roman, nach einem Gemälde von Charles Landseer (1799 –1879). Für seine Darstellung Clarissas hat er den Moment gewählt, in dem die von Lovelace vergewaltigte Frau von dessen Freund John Belford im Gefängnis entdeckt wird, wo man sie wegen Geldschulden festhält. Auf dem Pult, vor dem sie auf einem Kissen ins Gebet versunken kniet, liegt die aufgeschlagene Bibel, dahinter Papier und Feder, um Briefe zu schreiben.
Gegen Ende seines Lebens bat Samuel Richardson seine Brieffreundin Lady Bradshaigh um ihre Exemplare von Pamela und Clarissa . Die passionierte Leserin seiner Bücher hatte ihre Ausgabe der Clarissa mit Hunderten Randbemerkungen versehen. Der Autor wollte sie für eine Neuausgabe auswerten und auf diese Weise von den spontanen Reaktionen seiner fleißigsten Leserin profitieren; seine eigenen Anmerkungen zu ihren Hinweisen und Einwänden sind so ausführlich, dass die Druckseiten manchmal von ihrer beider Handschriften wie eingerahmt erscheinen. Die dritte Auflage von Clarissa zeigte dann in der Tat, dass ihn manche Einwände Lady Bradshaighs überzeugt hatten. Ihr Beharren darauf, dass der Roman ein glückliches Ende nehmen sollte, fand in seinen Augen aber auch jetzt noch keine Gnade. Lady Bradshaigh wollte der nach damaligen Maßstäben entehrten Frau wenigstens im Roman zu einem guten Leben verhelfen – durch die Adoption eines Kindes. Richardson hingegen hielt an seiner Meinung fest, dass es, einmal vom Weg abgekommen, kein Zurück mehr gab.
Der Konflikt des Autors und seiner engagierten Leserin schlug sich auch in der Widmung der von ihr benutzten Aus gabe des Romans nieder. Richardson hatte sie Lady Bradshaigh geschenkt und auf dem Vorsatzblatt aller sieben Bände in blasser Handschrift vermerkt: »From the Author«. Dorothy Bradshaigh aber überschrieb die ohnehin schwer lesbare Widmung alle sieben Male mit ihrem Besitzervermerk: »Do. Bradshaigh«. Wenigstens auf diese Weise wollte sie das Buch zu ihrem geistigen Eigentum machen.
Die Leserinnen des 18. Jahrhunderts waren keineswegs die passiven Rezipientinnen, für die sie viele Männer hielten – jene gefährdete Spezies, die der Aufsicht und Bevormundung bedurfte, um nicht Opfer der Lektüre und der dadurch ausgelösten Wünsche und Phantasien zu werden. Die Intensität und Emotionalität, mit denen die Frauen seinerzeit insbesondere Romane lasen,
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