Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
B.s Befehl hin überwacht, nennt solche Fragen »pure Rebellion« und erhebt dagegen Einspruch. Wäre sie an der Stelle des Herrn, sollte dessen Eigentumsrecht an dem jungen Ding nicht lange zweifelhaft sein. Pamelas Rebellentum zeigt sich kaum im Handeln, da bleibt sie passiv. Es artikuliert sich aber in aufmüpfigen Reden und dann im Schreiben der Briefe, die diese Reden festhalten. Ihr Triumph ist erst in zweiter Linie die Eheschließung mit dem ihr an Macht und Status überlegenen Mr B. In erster Linie ist es ein Triumph der rebellischen freien Rede (und Schreibe) eines jungen Mädchens über die Macht und die Autorität der anderen Figuren, die ihr in allen anderen Belangen haushoch überlegen sind. So konnte der Roman auch als eine Rhetorikschule für junge Frauen gelesen werden, die sich nicht alles bieten (und sagen) lassen wollten in einer Welt, die sie mit Geringschätzung behandelte.
Richardson war ein Frauenbeobachter und Frauenversteher. Der Ruf, als Mann sehr außergewöhnlich zu sein, sollte ihn überdauern. »Wäre er eine Frau gewesen, hätte sein Charakter kaum Rätsel aufgegeben, dann hätten wir ihn in die Rubrik gescheite Klatschtante einordnen können«, heißt es in dem Porträt des schon genannten Richard Griffin: »Aber nach Lage der Dinge ist er eine Anomalie in der Literatur; es wird uns immer in Erstaunen versetzen, wie ein Gentleman mit Frau und Familie derart interessanten Weiberkram wie Clarissa und Pamela verfassen konnte.« Richardsons Einfühlungsvermögen in das andere Geschlecht zeigte sich auch an der liebevollen Genauigkeit, mit der er die häusliche Umgebung seiner Heldinnen beschrieb. Seine Romane erhalten dadurch den Anschein von Lebensnähe und alltäglicher Realität. Die Leserinnen wussten das zu schätzen, während es ihm den Spott der männlichen Leser eintrug, wie etwa jenes Kaffeehausbesuchers, der sich fragte, »warum uns der Autor nicht die genaue Zahl von Stecknadeln mitgeteilt hatte, die Pamela mit sich führte, als sie sich auf den Weg nach Lincolnshire machte«. Dieser Vorwurf der Belanglosigkeit verkennt, was Richardsons Detailbesessenheit leistet. Wir schlüpfen dadurch nämlich, wie ein gewisser Lord Francis Jeffrey 1804 in der Edinburgh Review feststellte, »unsichtbar in die häusliche Zurückgezogenheit seiner Figuren, wir hören und sehen alles, was unter ihnen gesprochen und getan wird«, mit der Folge, dass wir für sie »wie für unsere persönlichen Freunde und Bekannten« zu empfinden beginnen – eine Form der Einfühlung, die für den modernen psychologischen Roman verbindlich ist (und auch für dessen »Nachfolger«, die literarische Fernsehserie, wie sie beispielsweise die BBC produziert und in eigenen Schöpfungen, jüngst Downton Abbey , publikumswirksam weiterentwickelt). Richardson war ein so einfühlsamer wie mitfühlender Autor, und genau das schätzten seine Leserinnen.
Kein Wunder also, dass Richardson häufig Post von ihnen bekam. 1748 erhielt er einen anonymen Brief, dessen Verfasserin gerade Clarissa oder Die Geschichte einer jungen Dame las. In dramatischer Weise beschrieb der Brief die Lektüre der ersten vier Bände (von insgesamt sieben) des neuen Romans:
Hätten Sie mich sehen können, hätte ich gewiss Ihr Mitleid erregt. War ich allein, legte ich das Buch aus der Hand, ergriff es wieder, ging auf und ab, ein Strom von Tränen rann über mein Gesicht, ich trocknete sie, las erneut, kaum drei Zeilen, warf das Buch in die Ecke, schrie: Entschuldigung, guter Herr Richardson, ich kann nicht weiterlesen – Sie haben mehr getan, als ich ertragen kann; ich warf mich auf die Couch.
Auf diese Weise – überwältigt von den hervorgerufenen Gefühlen – wurden seinerzeit Romane gelesen, wie viele Zeugnisse belegen, die von derart heftigen Tränenströmen sprechen, dass die Buchseiten angeblich noch zwei Tage später feucht waren. Die Briefeschreiberin befürchtete, dass der neue Roman, anders als Pamela , auf eine fürchterliche Katastrophe zusteuerte. Sie flehte den Autor an, die Titelheldin vor »Vergewaltigung, Ruin und Zerstörung« zu bewahren. Sollte er ihre Bitte nicht erfüllen, so drohte sie ihm, würde sein neuer Roman Zustimmung nur bei »neidischen alten Jungfern, lamentierenden Junggesellen und tyrannischen Eltern« finden.
Doch Richardson tat ihr den Gefallen nicht: Das Paar dieses Buches, das junge, tugendhafte Bürgermädchen Clarissa Howe und der junge, charmante, aber gewissenlose junge Aristokrat Robert Lovelace,
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