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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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hatten damit zu tun, dass sie das einzige Medium waren, in dem die sie unmittelbar angehenden Lebensfragen zur Sprache kamen. Die Romane waren Liebes- und Leidenschaftsversprechen, und natürlich liegt es aus heutiger Sicht nahe, sie für diese Einseitigkeit zu kritisieren und ihre Behauptung, dass es im Leben auf die große Liebe und auf sonst nichts ankomme, als Ideologie zu entlarven. Doch das ist eine retrospektive Betrachtung, aus dem Abstand von über zwei Jahrhunderten und durch die Brille der vielen Theorien, von der Psychoanalyse bis hin zu den Gender Studies, die in der Zwischenzeit formuliert wurden. Für die damals lebenden Frauen hingegen waren die Romane ein so befreiendes wie unersetzliches Medium der Selbstverständigung: Hier kamen ihre Gefühlsregungen und Herzensanliegen, ihre Art zu empfinden und zu denken zur Sprache, und die Leserinnen machten sich diese Sprache zu eigen: ein erster Aufbruch hin zu Selbstbewusstsein und Emanzipation. Viele Übersetzungen des 18. Jahrhunderts gehen auf Leserinnen zurück, die auf Romane stießen, die sie auch anderen Leserinnen zugänglich machen wollten.
    Ein Jahr nach Bernhard von Hohorsts Besuch beim großen Richardson fasst auch Meta Klopstock sich ein Herz und schreibt dem verehrten Schriftsteller einen Brief – den ersten, den sie je auf Englisch verfasst hat. Schon als sie seine Clarissa (»oh! the heavenly book!«) ausgelesen habe, habe sie ihm schreiben und ihn um die Geschichte einer männlichen Clarissa – sprich eines empfindsamen jungen Mannes – bitten wollen, aber sich nicht getraut. Mit der Geschichte des Sir Charles Grandison habe Richardson diesen Roman auch ohne ihr Zutun geschrieben, und inzwischen bringe sie den nötigen Mut auf, ihm zu schreiben: »Mag sein, weil ich heute Klopstocks Frau bin …, damals aber war ich nur eine alleinstehende junge Frau.« Und Richardson antwortet ihr nicht nur, sondern bittet sie sogar um eine kurze Schilderung ihrer Bindungen, ihrer Beschäftigungen, ihrer Verwandtschaft. Woraufhin ihm Meta Klopstock zwei Tage vor ihrem dreißigsten Geburtstag in schwärmerischen Worten die Geschichte ihrer Liebe zu Klopstock erzählt. »Sie wollten wissen, was mich betrifft? Liebe, mein Herr, die Liebe ist alles, was mich betrifft!« In einer glücklichen Nacht habe sie den Messias gelesen. »Es ergriff mich. Am nächsten Tag fragte ich einen seiner Freunde, wer ist der Autor dieses Gedichts? Und es war das erste Mal, dass ich Klopstocks Namen hörte. Ich glaube, ich liebte ihn sofort.« Eine eheliche Verbindung der unabhängigen und vermögenden Kaufmannstochter mit einem gleichermaßen vermögenden Kaufmannssohn hätte mehr als nahegelegen. Meta aber wollte einen Dichter – eine männliche Clarissa! Und sie eroberte Klopstock, den deutschen Starautor aller empfindsamen Leserinnen, der sie in Anlehnung an Clarissa zärtlich »Clärchen« nannte. Nicht nur der Messias , das Werk Klopstocks, sondern auch die Romane Richardsons hatten ihre Ehe gestiftet.
    Man erkennt an solchen Details noch einmal, wie Romane damals gelesen wurden: nicht als literarische Kunstwerke, sondern als Botschaften aus dem Leben an das Leben, im Fokus die Leidenschaft. Der riesige Erfolg Richardsons erklärt sich daraus, dass er dieser Lesehaltung wie kein anderer zeitgenössischer Autor entgegenkam, ja, sie geradezu heraufbeschwor. Ein Briefroman besteht aus einer Folge von Briefen. Jeder einzelne ist ein dramatischer Situationsbericht, gänzlich abgestellt auf die Perspektive dessen, der gerade schreibt. Die Handlung addiert sich aus diesen Augenblicksäußerungen. Das ist wie im richtigen Leben, wo wir auch nicht wissen, wie es weitergeht, und es keinen allwissenden Erzähler gibt. Diese Technik oder besser Kunstlosigkeit ruft den Eindruck des Dramatischen in Richardsons Romanen hervor. Selbst auf den heutigen Leser bleibt sie nicht ohne Wirkung.
    Indem der Roman sich der verbreiteten und beliebten Form des brieflichen Austauschs bediente, verwandelte er sich all jene Eigenschaften an, die als Merkmale einer verfeinerten Briefkultur galten: eine zuvor unbekannte Feinheit der Analyse von Gefühlsregungen, eine Genauigkeit der Beobachtung und innige Vertrautheit mit allen sozialen Abstufungen und, am Wesentlichsten, die intime Bekanntschaft mit den Leidenschaften des Herzens. Mit dem Briefroman wurde die Kunst des Romans die Kunst der Nuance. Die zeitgenössischen Leserinnen und Leser dürften die Briefe der Romanhelden kaum anders als die in den

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