Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
einer Frau ohne große Bildung zur Verfügung standen: Geistesgegenwart, entwaffnende Naivität, Scharfsinn, Beharrlichkeit, Empathie. Sie musste dazu noch nicht einmal jenen Liebesverzicht leisten, der in anderen Erfolgsromanen der Epoche eine so entscheidende Rolle spielte.
Dennoch, und nicht weiter verwunderlich, fand die Fabel vom Aufstieg des Dienstmädchens keineswegs nur Beifall. Schon kurz nach Erscheinen berichtete ein Zeitgenosse, dass es »insbesondere unter den Damen zwei verschiedene Parteien, Pamelisten und Antipamelisten«, gebe, deren Ansichten darüber auseinandergingen, »ob das Jungfräulein ein Exempel wäre, nach dem die Damen sich richten sollten, oder eine geriebene Heuchlerin, die die Kunst versteht, einen Mann zu ködern«. Letzteres war gleichermaßen die Meinung eines Autorenkollegen wie einer Autorenkollegin von Richardson: Henry Fielding parodierte die seiner Auffassung nach berechnende Moral von Richardsons Heldin in gleich zwei Romanen: ein Jahr nach Erscheinen des Originals in Shamela und 1742 dann in Die Geschichte der Abenteuer von Joseph Andrews und seines Freundes Mr Abraham Adams (1742), und begründete auf diese Weise den modernen komischen Roman. Eliza Haywood, berühmt-berüchtigt durch ihren Roman Love in Excess (1719), publizierte 1741 eine Antipamela . Deren Heldin trägt den sprechenden Namen Serena Tricksy und ist, anders als ihr Vorbild, eine keineswegs attraktive, stattdessen jedoch resolute und von sich selbst überzeugte Person, die nur eines im Sinn hat: sich einen Ehemann zu angeln um des sozialen Aufstiegs und des schnöden Mammons willen.
Das war im London der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein durchaus heißes Thema. Das Erste, was Mr B. tut, um sich die junge Pamela gefügig zu machen, besteht darin, ihr Zugang zur Bibliothek und zum Kleiderschrank seiner verstorbenen Mutter zu verschaffen. Neben der Lektüre derselben Romane war die Art, sich zu kleiden, der zweite entscheidende Hinweis darauf, dass sich die Standesunterschiede zwischen Herrschaft und Dienerschaft zu verwischen begannen. Der Kaufmann und Schriftsteller Daniel Defoe hatte sich zum Sprachrohr all derjenigen gemacht, die in der unangemessenen Kleidung des Dienstpersonals eine Bedrohung für den gesellschaftlichen Status quo sahen. Bei einer Einladung zu einer Abendgesellschaft hatte er nach einem Blick in die Runde zuerst der bestgekleideten Frau seine Reverenz erwiesen und dabei statt der Hausherrin das Kammermädchen umarmt! Dieser Fauxpas sollte Defoe noch lange anhängen und veranlasste ihn zu einer Reihe von Pamphleten gegen nivellierende Bekleidungsgewohnheiten.
Defoe war wie viele seiner Zeitgenossen der Ansicht, die Ursache des Übels läge in den zu hohen Löhnen der Bediensteten. Doch das war nur die eine und keineswegs die ausschlaggebende Hälfte der Wahrheit. Die entscheidende Ursache war, dass zunehmend mehr Dienstmädchen über die Romanlektüre Zugang fanden zu einer Welt der Gefühle und des Gebarens, welche ursprünglich ausschließlich die ihrer Herrschaften war. Die Romane zeigten ihnen, wie die Gesellschaft funktioniert und wie man seinen Platz darin finden und eben auch verändern konnte. Sie färbten aber auch auf ihre Vorstellungen ab, die sie sich von der Welt und der Gesellschaft machten. Wenn sich die Dienstmädchen wie die Frauenfiguren in den Romanen oder wie die Damen auf den Bildern in den aufkommenden Frauenmagazinen kleideten, so hatten sie gerade dies mit ihren Vorgesetzten gemeinsam. Die Wunschbilder, an denen sie sich orientierten, waren ohne Ansehen der Herkunft dieselben; auch insofern übte die Romanlektüre eine egalisierende Wirkung aus. Der neue, psychologische Roman, wie ihn Richardson begründete, war von Anfang an gerade keine standesspezifische Lektüre. Er negierte die traditionellen Bindungen und Gegensätze, indem er bei seinen Leserinnen Gefühle und Vorstellungen entfesselte, deren Erfahrung und Mitteilung für Vornehme und Geringe gleichermaßen erregend waren.
Doch hatten die Kritiker und Parodisten überhaupt recht? Näher besehen besteht die eigentliche »Stärke« von Richardsons Pamela nämlich gar nicht in Aufstiegswillen und Durchtriebenheit. »Aus welchem Grunde, bitteschön, kann er mich denn unter die Güter zählen, die zu seinem Eigentum gehören?«, empört sie sich, als Mr B. sie auf seinem Landsitz festhält. »Hat er denn ein anderes Recht an mir als ein Räuber an einer gestohlenen Sache?« Mrs Jewkes, die Pamela auf Mr
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