Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
aufkeimt.
Als Pamela schließlich ihre Stellung aufgibt, um zu ihren Eltern zurückzukehren, lässt Mr B. sie auf eines seiner Landgüter entführen. Auch dort setzt er seine Eroberungsversuche fort, die Pamela aber von Mal zu Mal mit Schlagfertigkeit und entwaffnender Naivität zu durchkreuzen versteht. Der Höhepunkt seiner frustrierenden Fehlschläge ist eine versuchte Vergewaltigung. Dafür verkleidet er sich als Hausmädchen und findet so Einlass in ihr Schlafgemach, wo sie das Bett mit der hinterlistigen Hauswirtschafterin Mrs Jewkes teilen muss. Und während Mrs Jewkes sie festhält, macht sich Mr B. über die inzwischen Sechzehnjährige her, die erst schreit und dann ohnmächtig wird, was ihn innehalten lässt. Das wiederholt sich ein weiteres Mal, bis er schließlich von ihr ablässt, ohne sie um ihre Unschuld gebracht zu haben.
Nicht wenige Leserinnen und Leser reagierten auf derartige Szenen neben dem unvermeidlichen Voyeurismus mit Ratlosigkeit. Sollte man nun Richardsons Roman für seine Moralität preisen oder handelte es sich um verschleierte Pornographie? Noch D. H. Lawrence, der Autor von skandalumwitterten Romanen wie Lady Chatterleys Liebhaber , hat von der merkwürdigen Verbindung von »imprägnierter Reinheit und Unterwäsche-Erotik«, von Prüderie und Lüsternheit in Pamela gesprochen (bezeichnenderweise ist es Pamelas Aufgabe als Dienstmädchen, sich um die Kleidung und Wäsche des jungen Herrn zu kümmern). In Richardsons Roman wirkt das Sexuelle umso erregender, je mehr es mit Heimlichkeit und Moralität umgeben ist, und Pamelas tugendhafter Widerstand steigert in Mr B.s Augen nur ihre Attraktivität.
Da ihr untersagt ist, Briefe abzuschicken, versteckt Pamela sie im Garten, unter einem Rosenstrauch. Mrs Jewkes beobachtet sie und händigt die konfiszierten Briefe ihrem Verführer aus. Der aber ist hingerissen von so viel Aufrichtigkeit und natürlicher Intelligenz und verwandelt sich schon während der Lektüre vom Saulus zum Paulus in Sachen Geschlechtsliebe. Von Reue ergriffen, lässt er seine Gefangene entkommen und wirbt von Stund an als ein ernsthaft Liebender um das Mädchen. Die nicht abgeschickten Briefe sind hier ein Verführer der besonderen Art: Ihre Lektüre bewirkt eine Metamorphose zum Guten und zur echten Liebe. Gegenüber der weiblichen Sprache des Herzens ist auch der Wüstling machtlos: Er erkennt, dass sein bisheriges Verhalten einem Rollenmodell folgte, das gar nicht seinen wahren Gefühlen entsprach. Und auch Pamela wird bewusst, dass hinter ihrer Abneigung gegenüber dem Mann, der sie mit allen Mitteln in eine sexuelle Abhängigkeit zwingen wollte, schon von dem Augenblick an, da er sie zum ersten Mal sanft berührte, eine unaussprechliche Faszination verborgen war. So werden die beiden trotz des großen Standesunterschieds zum guten Schluss ein Ehepaar.
Insbesondere für alle Dienstmädchen, die den Roman lasen, musste das Happy End von Pamela eine frohe Botschaft sein; denn deren Heiratsaussichten waren gleich null, wenn sie ihre Anstellung nicht irgendwann aufgaben und an ihren Herkunftsort zurückgingen. Eine Heirat mit einem Angehörigen der Familie ihres Arbeitgebers hingegen war extrem unwahrscheinlich – das große Glück, von dem sie kaum zu träumen wagten. Die Wirklichkeit sah eher so aus, dass sie zum Opfer der Verführungskünste des Hausherrn oder seines Sohnes wurden, der sie spätestens fallen ließ, sobald er sie geschwängert hatte. So konnten sie Richardsons Roman sogar einen konkreten Ratschlag entnehmen: allen Avancen ihrer Vorgesetzten Widerstand zu leisten, und zwar nicht in erster Linie um der Tugend der Keuschheit willen, vielmehr weil es ihrer Selbstachtung und Freiheit diente – um sich Handlungsspielräume offen zu halten, die ihnen ansonsten unweigerlich verloren gingen.
Das aber war eine Botschaft, die weit über das Dienstbotenmilieu hinausging und auch die Bürgerfrauen, ja, die Aristokratin erreichte: Der Roman vermittelte ihnen, dass es darauf ankam, den Herausforderungen des Lebens mit mentaler Stärke zu begegnen, und sei diese nur vorgetäuscht. Und dazu schien sogar eine Frau in der Lage zu sein, die sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befand, das so viel bedrückender und so viel aussichtsloser war als das eigene, etwa das der Ehefrau, die gezwungen worden war, eine unerwünschte Heirat einzugehen. Um zu erreichen, was sie wollte, brauchte Pamela, dieses Allerweltsmädchen, lediglich die Waffen einzusetzen, die auch
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