Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
gleich nachher musst du Hagedorn und unsere besten Freunde dazu bitten.«
Nach einer anderen Fassung der Geschichte überrascht Klopstock Meta mit der Ankündigung seines Besuchs, als diese noch gar nicht angekleidet ist. Geschwind steckt sie die Haare hoch, streift ein Negligé über und verbirgt ihre Blöße notdürftig mit einem Schultertuch. Sie hofft, dass der Verfasser des Messias nicht allzu sehr auf Äußerlichkeiten sieht, und ist dann frappiert von seinem Anblick. Zwar teilt sie keineswegs das Vorurteil, dass ein ernsthafter Dichter finster und mürrisch daherkommen, schlecht gekleidet sein und keinerlei Manieren haben müsse. Aber dass der Verfasser des Messias ein derart gut aussehender junger Mann ist, geht doch über ihr Vorstellungsvermögen.
Am nächsten Mittag hat Klopstock nur Augen für Meta. Er, der angeblich allein wegen des sechzehn Jahre älteren, hoch angesehenen Friedrich von Hagedorn nach Hamburg gekommen ist, wird zwar neben diesen gesetzt, bittet Meta aber gleich, an seiner anderen Seite Platz zu nehmen. Fortan hat die Runde den Eindruck, Klopstock sei gar nicht anwesend, so sehr ist er mit der jungen Frau ins Gespräch vertieft. Die Gesellschaft weiß gar nicht, was sie von solchem Verhalten denken soll. Der vermeintliche Bräutigam Metas, der auch eingeladen ist, verlässt die Runde noch während des Essens.
Danach treten die beiden ans Fenster. Klopstock fragt Meta, ob sie seine Elegie »Dir nur, liebendes Herz« kenne. Das ist zwar der Fall, aber aus Furchtsamkeit, es nicht hinreichend zu tun, lautet Metas Antwort: »Nein.« Ein guter Grund, sich ins Nachbarzimmer zurückzuziehen. Meta beginnt das Gedicht laut vorzulesen, doch aufsteigende Tränen hindern sie daran, fortzufahren. Klopstock übernimmt und ergreift dabei ihre Hand. Er liest nun einen Abschnitt aus dem Messias . Als sich Metas Schwester zu ihnen gesellt, fragt Klopstock, ob er dafür nicht einen Kuss verdient habe. Die Schwester bestätigt das. Meta, ganz schamhafte junge Dame, wehrt ab: Sie küsse keine Mannsperson. Statt sich darüber hinwegzusetzen, beginnt Klopstock, ganz nach Intellektuellenmanier, dagegen zu argumentieren. Meta denkt bei sich: »Warum küsst der Affe dich denn nicht? Du kannst ihm den Kuss ja nicht geben.«
Obwohl er längst anderweitig verabredet ist, bleibt Klopstock an diesem Tag bis neun Uhr abends. Schließlich fragt er Meta, ob sie sich vorstellen könne, irgendwann zu ihm nach Kopenhagen zu kommen. Sie erwidert: »Durchaus.« Er: »Aber Sie würden zu sehr frieren.« – »Wenn ich Ihr Feuer bei mir hätte, wohl nicht«, meint sie unter Lachen. »Ach, Sie haben genug eigenes Feuer«, sagt Klopstock. Und jetzt küsst er sie. Noch auf dem Schiff nach Kopenhagen schreibt er ihr den ersten Brief. Ihre Schwester, der sie den Brief zeigt, sagt gleich: »Das ist eine Liebeserklärung an Dich.« Meta kennt die Geschichte mit der Cousine und hegt Zweifel: Doch ehe sie Klopstock selbst schreiben kann, treffen schon zwei weitere Briefe ein, »nicht so mystisch, sondern hell und klar«, wie ihre Schwester meint. Bei Klopstocks nächstem Aufenthalt in Hamburg wird gegen den Willen von Metas Stiefvater Verlobung gefeiert, zwei Jahre darauf die Hochzeit. Doch schon 1758 stirbt Meta Klopstock nach einer Totgeburt.
Woher kennen wir alle diese intimen Einzelheiten, die Unterredungen, die Lektüren, die Küsse? Festgehalten sind sie in den Briefen, die seinerzeit zwischen den jungen Leuten hin- und hergingen, auch herumgereicht und im kleinen Kreis vorgelesen wurden. Sehr freimütig tauschten sie sich darin über ihre Erlebnisse und Wünsche gerade auch in Liebesdingen aus. Manches mag davon stilisiert sein; in einigen Details widersprechen sich die Darstellungen, in anderen ergänzen sie sich. Die lockere, dem Flirt und der Frivolität zugeneigte Atmosphäre geben sie indes gut wieder. Die Anknüpfung von Beziehungen war in diesen neuen Zirkeln eng verbunden mit der gemeinsamen Lektüre von Literatur und dem Austausch darüber. Es ging weniger um die Frage, ob und inwiefern sich aus Literatur etwas lernen lässt, und sei es fürs Leben, als um das Erlebnis und die Feier des Augenblicks: Lektüre ließ die Zeit vergessen, die Gefühle strömen und die Körper zueinanderfinden. Kurz, Lesen war ein Mittel der Entfesselung von Emotionen. Es war aber auch der Königsweg für Frauen, um sich in das neu entstehende, ungezwungene Miteinander einzubringen und jenseits von Aussehen und Heiratsmarkt dort eine Rolle
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