Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
zu spielen. Die Lektüre von Literatur verlieh den Frauen eine Stimme und einen sozialen Status. Und der war nicht gänzlich, aber doch weitgehend unabhängig von ihrer Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht und akademischer, für Frauen in der Regel unerreichbarer Bildung. Lesen verschaffte ein Stück Unabhängigkeit und eröffnete neue Wege, das Leben zu genießen.
Joseph Highmore, »Mr B. trifft Pamela schreibend an«,
1743/1744, © Victoria & Albert Museum,
London/The Bridgeman Art Library
Die Tür geht auf – und ins Zimmer tritt der Verführer. Er hat es auf das am Tisch sitzende unschuldige Mädchen abgesehen, das gerade einen Brief an seine Eltern beginnt. Das ist die erste Szene aus Samuel Richardsons Jahrhundertroman Pamela, erschienen 1740. Ein Roman war seinerzeit etwas aus dem Leben und auf dem Umweg des Lesens auch wieder fürs Leben. Keine andere Literaturgattung erreichte die Leserin so unmittelbar in ihrer Privatsphäre, keine andere gewährte ihr einen derart tiefen Einblick in die Gefühlsregungen und die geheimen Gedanken der Heldinnen und Helden.
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London, 1756
Was für schöne Briefe: Liebe und der Roman
Im Herbst 1756 besucht Bernhard von Hohorst, Militär, Gelegenheitsdichter und Onkel von Klopstock, den Romanautor Samuel Richardson in London. Es ist kaum ein Jahr her, dass von Hohorst wegen einer Schlägerei mit einem Leutnant unter Arrest gestanden hat. Per Kriegsgerichtsurteil wurde er im Dezember 1755 aus dem dänischen Militärdienst entlassen und seines Offiziersrangs enthoben. Im Sommer 1756 trifft er in London ein, wo er mehrere Monate bleibt, bevor er im Jahr darauf in preußische Dienste tritt und nach der Teilnahme an zwei Schlachten des Siebenjährigen Krieges im Spätsommer 1757 an einer fiebrigen Erkrankung verstirbt. Ein Männerschicksal, wie es seinerzeit häufiger vorkam.
Es ist von Hohorsts Absicht, dem Dichterneffen in London gefällig zu sein. Der Besuch bei Richardson dient auch dem Zweck, den Romancier als Schirmherrn und Multiplikator für die Verbreitung des Messias in England zu gewinnen. Richardson ist zu diesem Zeitpunkt der berühmteste und meistgelesene europäische Schriftsteller. Seine Briefromane Pamela oder Die belohnte Tugend (1740), Clarissa oder Die Geschichte einer jungen Dame (1747 / 48) und Die Geschichte des Sir Charles Grandison (1753 / 54) haben den Autor bereits zu Lebzeiten unsterblich gemacht. Alle drei sind jeweils kurz nach ihrem Erscheinen ins Französische, Deutsche und in andere europäische Sprachen übersetzt worden. Klopstock hat Clarissa noch in der Schweiz zu lesen begonnen, in der Übertragung des Göttinger Professors Johann David Michaelis, des Vaters von Caroline Michaelis, der späteren Ehefrau von Schlegel und Schelling, die erst 1763 zur Welt kommen wird. Unter dem Eindruck der Lektüre von Richardsons Roman hatte Klopstock seine Ode »Die tote Clarissa« verfasst. Von Hohorst hat eine Prosaübersetzung der Ode angefertigt und überreicht sie nun Richardson als Gastgeschenk. Ein guter Auftakt für einen nicht ganz uneigennützigen Besuch.
Richardson ist im Oktober 1756 mit siebenundsechzig Jahren bereits ein älterer Herr, der noch knapp vier Jahre zu leben hat. Seine großen Romanerfolge liegen indes gar nicht lange zurück, da er erst im Alter von fünfzig mit dem Romaneschreiben begonnen hat. Von Hohorst macht dem Autor, dessen »große blaue feurige schalkhafte geistige Augen« ihm in Erinnerung bleiben werden, freundliche Komplimente: Viele seiner Verwandten und Freunde, darunter auch Meta, hätten sich seine Romanfiguren als Tugendvorbilder auserkoren. Einigermaßen zwanglos kommt man auf den Messias zu sprechen. Richardson geht zu einem der Schränke, mit denen das Zimmer vollgestellt ist. Er zieht einen Brief aus Deutschland hervor, der eine ins Englische übersetzte Inhaltsangabe der ersten drei Gesänge von Klopstocks Großgedicht enthält. Von Hohorst zeigt sich beglückt, berichtet Richardson vom Fortgang der Handlung und beeilt sich, ihm das anzutragen, was er die »Censur« nennt und was wir wohl als Redaktion der englischen Ausgabe verstehen dürfen. Richardson jedoch lehnt dieses »Anerwünschen« ab, wie von Hohorst gegenüber seinem Neffen einräumen muss, stattet seinen Gast aber mit einem Empfehlungsschreiben für seinen Freund Edward Young aus, dessen 1742 bis 1745 entstandenes Werk Klagen oder Nachtgedanken über Leben, Tod und Unsterblichkeit seinerzeit die
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