Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Geld einzubringen. Und die Nachmittage sind nun gefüllt mit einer handwerklichen Beschäftigung, die die ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, aber von der Überanspannung der literarischen Arbeit ablenkt: der Schwarzen Kunst des Druckens und Verlegens.
»Adeline Virginia Stephen, die zweite Tochter von Leslie und Julia Stephen, geboren am 25. Januar 1882, entstammt einer langen Reihe von Vorfahren, einige berühmt, andere unbekannt; hineingeboren in eine große Familie, nicht von reichen, aber wohlhabenden Eltern; hineingeboren in eine redselige, belesene, Briefe schreibende, Besuche abstattende, sprachgewandte Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts.« So hat sie ihre Herkunft selbst beschrieben, ein wenig konventionell vielleicht, aber durchaus zutreffend. Virginia hatte drei Geschwister: Thoby und Vanessa waren älter, Adrian jünger als sie. Dazu kamen vier Halbgeschwister: George, Stella und Gerald Duckworth, aus der ersten Ehe ihrer Mutter Julia Jackson, sowie Laura, die geistig zurückgebliebene Tochter aus Leslie Stephens erster Ehe mit Minnie Thackeray, einer Tochter des berühmten Romanciers. George war vierzehn, Stella dreizehn, Gerald zwölf Jahre älter als Virginia, ebenso wie Laura, aber die ignorierte man gern, sie galt als verrückt – ein leibhaftiges Menetekel für die von Kindesbeinen an nervöse, empfindliche und reizbare Virginia. Der Vater Leslie Stephen war ein großer Gelehrter, Biograph und Schriftsteller der Viktorianischen Epoche, der Nachfolger von Alfred Tennyson als Präsident der London Library. Die Mutter war Muse und Modell der Präraffaeliten, ein Madonnen-Typus, dabei aber weltzugewandt, lebenstüchtig und pragmatisch.
Im Haus der Familie am Hyde Park Gate in Kensington gab sich die künstlerische Elite der Zeit die Klinke in die Hand: Mary Anne Evans, die sich als Schriftstellerin George Eliot nannte, war genauso darunter wie der Journalist und Schriftsteller George Meredith, der Dichter Robert Browning, der seine leidenschaftlich geliebte Frau, die Dichterin Elizabeth Barrett Browning, bereits 1861 verloren hatte, der Amerikaner Henry James, den viele für den größten Romancier der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts halten, der bereits erwähnte Dichter Tennyson, Thomas Hardy, der Autor von Tess von den d ’Urbervilles , der viktorianische Maler und Bildhauer George Frederic Watts, die Präraffaeliten Edward Burne-Jones und William Holman Hunt, um nur einige zu nennen. Und natürlich kamen zum Tee auch die weitläufige Familie, die Cousinen und Tanten, die Nachbarn und die gewöhnlichen Freunde der Familie, respektable Vertreter des Mittelstandes, nicht wenige davon in hoher Stellung oder mit Leuten in hoher Stellung verwandt. Früh übten sich insbesondere die beiden Mädchen in der Kunst zu gefallen, die richtigen Leute zusammenzubringen, Konversation zu machen. Sie taten es und hassten es.
Als Virginia neun Jahre alt war, starteten ihre älteren Geschwister Thoby und Vanessa die Hyde Park Gate News, die in einem gnadenlos spöttischen Ton abgefasste Bekanntmachungen und Geschichten aus dem Familienleben enthielten und deren Hauptautorin mit der Zeit Virginia wurde. Gegenstand von Scherz, Satire, Ironie, zuweilen mit tieferer Bedeutung, waren natürlich die vielen Besucher, zum überwiegenden Teil im fortgeschrittenen Alter, die auf die Kinderschar einen lächerlichen Eindruck machten: etwa »General Beadle, der Sachen von sich gibt wie ›es war fast zu heiß, als dass hemmungsloses Transpirieren genussvoll gewesen wäre‹«. Vom kindlichen Übermut und Spott nicht verschont blieb aber auch alles, was den Erwachsenen heilig war: von romantischen Liebeserklärungen, den Beziehungen zwischen den Eheleuten bis hin zu elterlicher Zärtlichkeit und Muttergefühlen. Da wird in einer Fortsetzungsgeschichte ein Heiratsantrag im Affenhaus im Zoo gemacht, die Geliebte wird mit einem Roastbeef verglichen, ein Liebhaber wird abserviert: »Deine Liebesbriefe kannst Du nicht zurückbekommen, weil ich sie nicht aufgehoben habe. Ich retourniere daher die Briefmarken, die Du geschickt hast.« Virginia vergleicht die Mutter, die über den kranken Bruder besorgt ist, mit einem »kreisenden Geier über dem sterbenden Ross«; für die Weihnachtsausgabe steuert sie eine Gespenstergeschichte bei, in der ein junger Mann von einem unter dem Bett versteckten Skelett ermordet wird. Hier findet sich der Ursprung jener unbändigen Lust am boshaften Klatsch, am gnadenlosen Aufspießen der
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