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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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lächerlichen Seiten von Situationen und Menschen, wie er insbesondere in den satirischen Miniaturen von Virginia Woolfs Briefen immer wieder aufblitzt. Es ist die Kehrseite ihrer lebenslangen Schüchternheit und ihrer pathologischen Angst vor Kritik.

    Leslie Stephen, Reproduktion eines Bildes aus seinem Fotolbum,
Entstehungsjahr unbekannt, © Mortimer Rare Book Room, Smith College
    Leslie Stephen, Virginias Vater, liebte dieses Foto. »Wenn ich bestimmte kleine Fotografien betrachte – eine, auf welcher ich gerade lese an ihrer [Julias] Seite in St. Ives mit Virginia im Hintergrund, ist es mir, als sähe ich leibhaftig die Liebe, die heilige und zärtliche Liebe, die durch jene erlesenen Lippen atmet …«
    1897, zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau Julia, fügte Leslie Stephen dieser Erinnerung ein Postskript an: »Virginia ist verstimmt gewesen, nervös und wuchs auch zu rasch; ich hoffe, dass eine Verschnaufpause sie wiederherstellen wird.« Sie »verschlingt Bücher, beinahe schneller als es mir recht ist«.
    Es gibt ein Foto aus dieser Zeit, das die zehnjährige Virginia zusammen mit ihren Eltern zeigt – ein rührendes Paar, das Seite an Seite sitzt, beide in ihre Lektüre vertieft. Die Tochter hält sich im Hintergrund, im Schutz des Sofas und der Bücher an der Wand. Von dort aus schaut sie mit festem Blick in die Kamera, in einer eigentümlichen Mischung aus Gedankenversunkenheit und Geistesgegenwart, mit einem zugleich hellwachen, schwermütigen und schelmischen Gesichtsausdruck. Das Familienidyll, wenn es denn eines war, sollte nicht lange bestehen bleiben: 1895 starb erst Virginias Mutter, zwei Jahre später auch die Halbschwester Stella, die nach Julia Stephens Tod das Regiment im Haus übernommen hatte. Der Vater verfiel in eine anhaltende Depression, und nachdem die Schwester Vanessa sich mit ihm zerstritten hatte, wurde Virginia zur wichtigsten Kontaktperson ihres Vaters, der 1904 nach langer Krankheit starb. Henry James sprach zu dieser Zeit von 22 Hyde Park Gate als von jenem »Haus mit all den Toten«.
    Es ist viel über die Nervenzusammenbrüche gerätselt und geschrieben worden, die Virginia Woolf seit ihrer frühen Jugend heimsuchten. Gewöhnlich führt man sie auf die Belästigungen der beiden Halbbrüder George und Gerald zurück, die sie in sexueller Hinsicht traumatisierten. Ein Zusammenhang ist kaum von der Hand zu weisen. Andererseits fällt auf, dass die erste Attacke sich nach dem Tod der Mutter, eine zweite nach dem genauso unfassbaren Tod Stellas und die dritte schließlich im Anschluss an den Tod des Vaters ereignete. Sodass man auch mutmaßen könnte, es sei der Einbruch des Todes in den behüteten Schutzraum der Familie gewesen, der die hochsensible Virginia so stark erschütterte, dass ihre ererbte Disposition zur Depression ausbrach. Auf Virginia übte alles, was mit dem Tod zu tun hatte, eine frühe, ambivalente Faszination aus. Auch das Glück ihrer Eltern beruhte ja darauf, dass deren ersten Ehepartner verstorben waren. Eines der frühesten schriftlichen Zeugnisse der Tochter, ein undatierter Brief an die Mutter, entstanden beim Besuch einer Verwandten, spricht von der katastrophalen Gewalt des Todes – ein grausames Märchen des Industriezeitalters, übermittelt aus Kindermund: »Mrs Prinsep sagt, dass sie nur in einem langsamen Zug fährt weil sie sagt dass die schnellen Züge alle Unfälle haben und sie hat uns von einem alten Mann von 70 erzählt der mit den Beinen in den Rädern von dem Zug hängengeblieben ist und der Zug ist losgefahren und hat den alten Herrn mitgeschleift bis der Zug Feuer gefangen hat und er hat geschrien jemand soll seine Beine abschneiden aber niemand ist gekommen er ist verbrannt. Auf Wiedersehen Deine Dich liebende Virginia.«
    Als am 20. November 1906 auch noch Thoby an Typhus stirbt, bestreitet sie in ihren Briefen an die mütterliche Freundin Violet Dickinson, die gerade an derselben lebensbedrohlichen Krankheit leidet, seinen Tod systematisch. »Es ist eine langwierige Geschichte, aber es gibt keinen Grund zur Besorgnis«, schreibt sie ihr – da ist Thoby gerade vor ein paar Stunden gestorben. Dieses Mal bleibt der Nervenzusammenbruch aus – vielleicht, weil sie, vorgeblich aus Sorge um den Zustand der Freundin, zum Leugnen greift? Vor den Zumutungen des Todes rettet sie sich in die Fiktion.
    Bücher sind von jeher Virginias Zuflucht. »Ich möchte lesen, bis ich schwarz werde«, erklärt sie. Fühlt sie sich bei einem Fest fehl am

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