Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
verstehen sei: »Das natürliche Liebesleben in allen seinen Entwicklungen ist aufgebaut auf dem Prinzip der Untreue.« Erotik bedeutete für Lou Andreas-Salomé nicht Verschmelzung mit einem anderen, sondern die stets neue Überwindung innerer Barrieren. Es gebe keine größere Gefahr für die Leidenschaft, als »sein eigenes Wesen künstlich nach der Art des Anderen zurechtzuschrauben«, meinte sie.
Fenitschka stellt die Frage, welche Folge die geistige und berufliche Unabhängigkeit der Frau für die Liebe hat. Eine lesende Frau können die Männer noch ertragen – aber eine studierte Frau, die ihnen geistig womöglich überlegen ist? Fenitschka wird zwischen ihrem Wunsch nach Eigenständigkeit und ihrem Wunsch nach Liebe förmlich zerrissen. Während sich Max Werner eine Frau zur Verlobten gewählt hat, die auch geistig zu ihm aufschaut, ist Fenitschka durch Studium und Berufstätigkeit in eine traditionell männliche Rolle geschlüpft, mit unabsehbaren Folgen auch für Liebe und Ehe. Plötzlich muss sie erkennen, dass ihr in der Beziehung zu dem Mann die »rein sinnliche Leidenschaft«, wie sie es nennt, letztlich mehr bedeutet als das, was sie für Liebe hält. Das Schlussbild der Erzählung zeigt uns eine Frau, die sich von ihrem Liebhaber verabschiedet und ihm aus ganzem Herzen für die ihr erwiesene Liebe dankt, um dann »entschlossen in eine ganz andre Existenz zurückzukehren« – in die Existenz der in jeder Hinsicht unabhängigen Frau, beruflich wie erotisch. Man kann das auch so formulieren, wie es Lou Andreas-Salomé in eigener Sache getan hat, um ihre vielen Lieben zu erklären: »Ich bin Erinnerungen treu für immer, Menschen werde ich es niemals sein.«
»Niemals mehr einem anderen als sich selbst anzugehören«, so lautet auch der Entschluss, den Edna Pontellier im Sommer ihres Erwachens fasst. Fassungslos die zunehmende Veränderung seiner Frau beobachtend, sagt Mr Pontellier sich, dass sie nicht länger sie selbst ist. Aus Ednas Sicht hingegen verhält es sich genau umgekehrt: Sie wird allmählich sie selbst, indem sie sich Stück für Stück von jenem vermeintlichen Selbst entfernt, das der amerikanische Philosoph William James in seinen 1890 erschienenen Prinzipien der Psychologie so charakterisiert hat: Es sei »die Summe all dessen, was ein Mann sein Eigen nennen kann, nicht nur seinen Körper und seine seelischen Kräfte, sondern auch seine Kleidung und sein Haus, seine Frau und seine Kinder, seine Vorfahren und Freunde, seinen Ruf und seine Arbeit, seine Ländereien und Pferde, seine Yacht und sein Bankkonto«.
Diesem patriarchalischen, vor Selbstbewusstsein strotzenden männlichen Selbstbild antwortet Kate Chopin mit einer Geschichte darüber, wie eine Frau ein Gefühl für sich selbst entwickelt, das sich an ihren ureigenen Bedürfnissen orientiert. Ihr wunderbarer Roman, pünktlich zum Jahrhundertende erschienen, ist eine Erkundung dessen, was ein weibliches Selbst ausmacht. Ein Ehemann, der geheiratet wurde, ohne Liebe als Entschuldigung für diesen Schritt anführen zu können, scheint danach nicht unbedingt zu einem weiblichen Selbst dazuzugehören. Auch ein repräsentativer Wohnsitz nicht, wohl aber ein eigenes Zimmer, wie Virginia Woolf es bald für alle kreativen Frauen verlangen wird. Zeit für sich selbst und die persönlichen Interessen zählt dazu, aber auch eine zwanglose Form der Geselligkeit, die allen Beteiligten das Recht auf Meinungsfreude und Vergnügen gewährt. Gehören Kinder dazu? Das ist eine Frage, die im Roman mehrfach gestellt, letztlich aber nicht beantwortet wird. Mr Pontellier wirft seiner Frau vor, die Kinder zu vernachlässigen; sie selbst äußert einmal, sie würde sich »nie für ihre Kinder oder sonst jemanden opfern«. Daraufhin von ihrer aufgebrachten Freundin zur Rede gestellt, bemüht sie sich, ihre Einstellung zu erklären. Sie würde das Unwesentliche aufgeben, ihr Geld, sogar ihr Leben für ihre Kinder geben. »Aber mich selbst würde ich nicht geben.«
Unverbrüchlich zum weiblichen Selbst gehört dagegen Sinnlichkeit. In dem Maße, wie Edna ihr altes Selbst ablegt, das sie darauf reduzierte, Besitz- und Schmuckstück ihres Ehemanns zu sein, entfaltet sich neben dem Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit auch ihre bislang verborgene Sinnlichkeit »wie eine dürstende, empfindsame Blüte«. Man hat Edna eine »amerikanische Emma Bovary« genannt. Noch unmissverständlicher als Flauberts Roman streitet Kate Chopin in Das Erwachen für das
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