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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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berichtet. Konkret: Die St. Bride’s Druckerschule hatte das Ehepaar abgewiesen, weil die beiden Mittdreißiger weder im Lehrlingsalter waren noch der Gewerkschaft angehörten. Kaum verwunderlich also, dass Leonard und Virginia Woolf, als sie auf einem ihrer Spaziergänge auf den Laden der Excelsior Printing Supply Co. stoßen, »durch das Fenster wie zwei hungrige Kinder auf Brötchen und Kuchen vor einem Bäckerladen« starren. Ist es Virginia, die zuerst vorschlägt, hineinzugehen und sich ganz unverbindlich umzuschauen? Jedenfalls kommt sofort ein freundlicher Verkäufer auf sie zu, dem sie ihren Wunsch und ihr Dilemma eingehend erläutern. Sie erstehen bei ihm nicht nur eine kleine Druckmaschine im Handbetrieb, die bequem auf einem Esstisch Platz findet, sowie Lettern, Schließrahmen und Setzkasten, sondern zudem eine sechzehnseitige Broschüre, die den Laien darüber belehrt, wie man Drucksachen herstellt.
    Als in den 1990er Jahren Desktop-Publishing aufkam, wurde es als eine kleine Revolution gefeiert, weil die Produktionsmittel in Sachen Buchherstellung nun jedem zugänglich wurden. Man sieht an diesem Beispiel, die Revolution in der Buchbranche hat schon Jahrzehnte früher begonnen.
    Einige Wochen später wird den Woolfs die Maschine samt Zubehör ins Hogarth House im Londoner Vorort Richmond geliefert, wo sie seit zwei Jahren leben. Wie der in Geld- und generell in Zahlendingen äußerst penible Leonard Woolf in seinen Erinnerungen nicht mitzuteilen vergisst, kostet sie die Anschaffung 19 Pfund, 5 Schilling und 5 Pence, was heute ungefähr 700 Euro entspricht.
    Umgehend bauen sie alles auf. Virginia übernimmt das Setzen – Leonards nervöses Händezittern, das er vom Vater geerbt hat, erlaubt ihm solche Feinarbeit nicht. Zuerst sortiert sie die Bleilettern in den Setzkasten ein – jedes Zeichen in sein eigenes Fach. Danach muss jede Letter einzeln aus dem Setzkasten geklaubt und, auf dem Kopf stehend, in den Winkelhaken eingebracht werden. Am Anfang verwechselt Virginia häufig »n« und »h« – ein üblicher Fehler, wie die Broschüre erläutert. Unerlässlich ist es, dass jede Zeile mit den Rändern abschließt. Die fertigen Zeilen werden auf das Satzschiff geschoben, und der Winkelhaken wird sodann erneut gefüllt. Das wiederholt Virginia so lange, bis eine ganze Seite gesetzt ist. Dann geht es daran, den Satz fest zu komprimieren, damit nichts herausfällt, wenn man ihn zur Druckmaschine hinüberträgt. An dieser Stelle übernimmt Leonard. Seine Aufgabe ist es jetzt, die gesetzte Seite im Schließrahmen anzubringen und dabei plan zuzurichten, damit ein gleichmäßiges Druckbild entsteht. Am Anfang reichen die gekauften Lettern nur aus, um maximal zwei Seiten gleichzeitig zu drucken. Man glaubt förmlich, Leonards Flüche zu hören, als das Ergebnis anfangs den ästhetischen Ansprüchen beider so gar nicht entspricht. Die Hände sind dauernd voller Druckerschwärze, spätestens dann, wenn die verschmierten Lettern wieder in den Kasten zurückbefördert werden, damit die nächsten beiden Seiten gesetzt werden können. Sind alle Seiten gedruckt, müssen sie noch gefalzt, zusammengetragen und mit Einbandpapier verklebt oder vernäht werden. Gut, dass Virginia in jungen Jahren einen Monat lang zumindest die Anfangsgründe des Buchbindens erlernt hat.
    Allerdings: Das Ehepaar Woolf druckt nur nachmittags. Die gesamte Hogarth Press, wie sie ihren Verlag nennen werden, der sich aus dieser Tätigkeit entwickelt, ist eine Nachmittagsbeschäftigung für Schriftsteller. Der Vormittag gehört den beruflichen Haupttätigkeiten, bei Virginia ist dies die Arbeit an dem gerade entstehenden Roman – dieser kräftezehrenden Anstrengung, dem Innenleben eine literarische Form zu geben, wie sie es selbst nennt. Leonard Woolf berichtet, er habe »nie wieder jemanden mit so angespannter und unermüdlicher Konzentration arbeiten sehen« wie seine Frau. Diese völlige Absorption und die damit verbundene Anstrengung betrachtet er mit als Auslöser für die Phasen seelischer Krankheit, in denen sie zum Teil völlig die Kontrolle über sich selbst verliert, von Wahnvorstellungen geplagt wird oder über Wochen hin in dumpfe Melancholie versinkt. Auf sein Anraten hin gewöhnt sie sich an, regelmäßig in einen Erholungsgang zurückzuschalten. Nach einer Phase intensiven Romanschreibens verfasst sie dann Buchkritiken und Feuilletons, die ihr leichter von der Hand gehen und zudem den hübschen Nebeneffekt haben, verlässlich

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