Frauen verstehen mehr von Liebe
hieß.«
Sonjas Augen funkelten.
»Scheusal! Vieh! Diese Ausdrücke richten Sie selbst!«
Der Gescholtene zeigte auf Moritz.
»Sehen Sie ihn sich doch an. Habe ich nicht recht?«
Moritz wedelte verstärkt mit dem Schweif. Es war ihm klar, daß es mit wachsender Intensität um ihn ging.
»Daß Sie ihn Moritz heißen«, fuhr Sonja fort, »ist also auch noch ein Willkürakt von Ihnen.«
»Weil ich nicht weiß, wiederhole ich, wie er ursprünglich hieß.«
»Und warum wissen Sie das nicht?«
»Er ist mir zugelaufen.«
»Wo?«
»In Palermo.«
In Palermo? Sonja verstummte vorübergehend. Sie hatte auch schon zwei Wochen auf Sizilien verbracht und streunende Hunde dort gesehen. Die befanden sich in einem anderen Zustand als Moritz. Offenbar hatte dessen Besitzer jemanden, der das Tier in ausreichendem Maße fütterte und es mit Wasser und Seife in Berührung brachte. Sonja steckte ein bißchen zurück. Während ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, berichtete der Mann, dem Moritz gehörte, wie das damals zugegangen war.
»Ich saß in einem Strandcafé, im Freien natürlich, inmitten von Einheimischen, und wollte eine Kleinigkeit essen. Plötzlich jaulte ein Hund. Ich muß Ihnen nicht sagen, welcher. Er bettelte und hatte einen Fußtritt bekommen. Dann jaulte er wieder. Der zweite Fußtritt … der dritte … der vierte. Steinwürfe wechselten ab mit Fußtritten. Aber solche Köter sind zäh, das kann ich Ihnen sagen. Trotz allem stand er schließlich auch vor mir. Insgeheim hatte ich nicht die geringste Absicht, ihm etwas anderes zukommen zu lassen als ebenfalls einen Fußtritt. Doch das erlaubte mir die Situation nicht. Ich habe Ihnen schon gesagt, wer die Leute in meiner Umgebung waren: alles Einheimische. Und ich der einzige Deutsche. Wissen Sie, dort unten, das ist so weit entfernt, daß sich das noch zutragen kann. In Bibione ist das Umgekehrte die Regel. Dort stoßen Sie auf einen einzigen Italiener zwischen zehntausend Deutschen. In Palermo nicht. Was habe ich damals, im entscheidenden Moment, gemacht? Ich wußte, was ich meiner Nation schuldig bin, versagte mir den Fußtritt und warf statt dessen dem Hund ein Stückchen von meinem Teller, den mir der Ober kurz zuvor gebracht hatte, hin. Und damit war der nichtwiedergutzumachende Fehler, den ich mir erst verzeihen kann, wenn Moritz das Zeitliche gesegnet haben wird, auch schon geschehen. Warnschreie drangen an mein Ohr – zu spät. Sehen Sie, die Leute dort wissen schon, warum sie sich für die sizilianische Mentalität entschieden haben und nicht für die unsere. Einer der Gründe sind die streunenden Hunde dort. Mein Fehler bewirkte sehr rasch, daß ich noch zweimal den Ober in Anspruch nehmen mußte und mich schließlich trotzdem vollkommen ungesättigt vom Tisch erhob, um in einem anderen Lokal mein Glück zu versuchen. Vergebliches Unterfangen. Mein Kostgänger wich mir nicht mehr von der Seite, auch nicht, als sein Hunger gestillt war und nur noch mir der Magen knurrte. Ich konnte machen, was ich wollte. Das Verhalten des Hundes war ein zukunftsorientiertes, wissen Sie, er sah nicht nur die Gegenwart. Am Abend jenes Tages versprach ich mir die Lösung meines Problems von meinem Hotel, in das keine Hunde hineingelassen wurden. Wer aber lag am nächsten Morgen vor dem Portal und erwartete mich? ER. Wer verleidete mir wieder den ganzen Tag? ER. Ich bestellte mir überhaupt nichts mehr zum Essen, um ihm auf diese Weise die Trennung von mir leichter zu machen. Wer hungerte mit mir? ER. Wer kapitulierte eher? ICH. Zum Glück war das schon gegen Ende meines Urlaubs. Doch wer legte sich, als ich mich heimwärts wenden wollte, vor mein Auto? ER. Sie werden das nicht glauben wollen, aber ich schwöre Ihnen, es ist die reine Wahrheit: Der Hund hätte sich überfahren lassen. Können Sie sich meine Wut vorstellen? Meinen Haß?«
Sonja Kronen, die schon länger nicht mehr wußte, was sie von dem Ganzen halten sollte, sagte dennoch giftig: »Sicher, das kann ich mir sehr gut vorstellen, von Ihnen schon! Ich aber wäre zu Tränen gerührt gewesen von einem solchen Ausmaß an Treue!«
»Sie wären etwas ganz anderes gewesen. Der Köter wimmelte nämlich von Flöhen. Ich merkte das sehr schnell während der Fahrt. Das ganze Wageninnere –«
»Sie haben ihn mitgenommen?« unterbrach Sonja.
»Sonst wäre er nicht hier. Er hätte sich ja, wie ich schon sagte, eher überfahren lassen, und das wollte ich auch wieder nicht. Warum nicht? werden Sie sich fragen.
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