Frauen verstehen mehr von Liebe
Ausmaß regte. Das bemerkte ein relativ junger Bürger der Stadt, der um diese Zeit eigentlich auch noch nicht auf die Straße gehörte, dessen Angewohnheit es aber war, vor Beginn seines Tageswerkes schon einen flotten Morgenspaziergang zu machen, um sich körperlich in Form zu bringen und zu halten.
Sonja Kronen atmete also tief ein. Sie konnte dies in dem stolzen Bewußtsein tun, eine Stufe dessen erreicht zu haben, was man im allgemeinen das Ziel des Lebens nennt. Dort nämlich, über dem Fenster, stand es seit gestern abend in großen Buchstaben
MODESALON SONJA
Ein eigenes Geschäft …
Sein eigener Herr (beziehungsweise: Dame) sein …
Einen Salon besitzen, in dem die Fantasie und die Schönheit regierten, die Eleganz und der gute Geschmack, das Geld der feinen Leute und deren Launen …
Einen Salon aber auch sein eigen nennen, der oft genug zur Geburtsstätte schlafloser Nächte zu werden versprach, wenn ein Kleid wieder in neuer Rekordzeit gemacht werden sollte, weil die Interessentin entweder darauf bestand, oder vom Kauf zurücktrat. Doch was wollen solche Nächte schon besagen?
Mit einem glücklichen, fast kindlichen Lächeln blickte Sonja in ihre Schaufenster. Erreicht, sagte sie sich, endlich erreicht. Wie oft hast du davon geträumt, Sonja, wie oft hast du dir in den vergangenen Jahren, in denen du für andere gearbeitet hast, vorgesagt: Einmal, Sonja, wirst auch du ein solches Geschäft haben und zeigen können, was mit dir los ist …
Und nun war es also soweit. Unbeugsames Zielstreben, große Sparsamkeit, eine kleine Erbschaft vor einem halben Jahr, verständnisvolles Entgegenkommen einzelner Firmen und Vertreter, zuletzt auch noch ein Kredit eines entfernten Onkels – all das hatte zusammengewirkt, um einen Traum Wirklichkeit werden zu lassen …
Kritisch musterte Sonja ihre eigene Auslage. Dort ein schwarzes, glockiges Kleid mit einer Brokatstickerei … im Hintergrund ein Sommerkleid, luftig, leicht … und dort, in der linken Ecke, ein Tanzkleid aus weißem Chiffon. Alles Kleider, die sie selbst entworfen, am eigenen Körper anprobiert und mit eigener Hand genäht hatte. Sie sollten die Kundinnen anlocken und einen Eindruck von dem vermitteln, was die unbekannte junge Sonja Kronen mit ihren 24 Jahren schon zu leisten vermochte.
Was noch fehlt im Fenster, dachte sie, sind die Preise. Die mußte ich mir erst in der vergangenen Nacht noch überlegen. Wie mache ich's am besten? Wie steige ich ein? Teuer? Billig? In der Mitte?
So in der Mitte, hatte sie sich vernünftigerweise entschieden.
Sie wollte sich der Ladentür zuwenden, als sie halb hinter, halb neben sich eine Stimme hörte.
»Entzückende Sachen, wie?« sagte diese Stimme, und sie klang tief und kraftvoll, allerdings auch spöttisch. »Nur scheint die Besitzerin – diese Sonja – nichts von gesetzlichen Vorschriften zu halten.«
»So?« meinte Sonja kurz und drehte sich halb um. Sie sah einen großen, gut angezogenen Mann, der sie mit seinen hellen Augen freundlich anblickte. Er war schlank, hatte ein schmales Gesicht und tadellose weiße Zähne, die man sehen konnte, da er lächelte. Der Morgenwind, der wehte, hatte ihm die Haare ein bißchen zerzaust, was ihm ein jungenhaftes Aussehen verlieh. Im übrigen war er ja auch keineswegs schon alt … so um die dreißig herum, schätzungsweise.
»Das müßte man ihr sagen«, erklärte er.
»Wem?« fragte Sonja.
»Dieser Sonja.«
»Und was?«
»Das sie sich strafbar gemacht hat.«
»Inwiefern?«
»Bei uns in Deutschland müssen Waren im Schaufenster mit Preisetiketten versehen sein. Wer dagegen verstößt, dem droht zumindest ein saftiges Bußgeld.«
Ein Schreck durchfuhr Sonja Kronen. Kam der Mann vom Gewerbeamt? Oder war er gar ein Polizeibeamter in Zivil?
»Wissen Sie«, sagte Sonja rasch, »die Unterlassungssünde hier kann darauf zurückzuführen sein, daß das Geschäft brandneu ist und die deshalb noch nicht ganz auf dem laufenden sind. Die werden das bestimmt ganz rasch nachholen.«
»Der Laden ist neu?«
Der Ausdruck gefiel Sonja nicht. Es liege etwas Abwertendes darin, fand sie, zwang sich aber weiterhin zu einer freundlichen Miene, mit der sie die Frage bejahte.
Daraufhin meinte der Mann: »Ich kenne das Viertel hier zu wenig. Aber Sie scheinen Bescheid zu wissen?«
»Das Geschäft«, antwortete Sonja mit einer gewissen Betonung, »wird heute eröffnet …«
»Auch darauf fehlt ein Hinweis«, fiel der Mann ein.
»… und man hat gestern noch letzte Hand
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