Frauenbataillon
Aufsammeln von sowjetischen Versprengten.« Stattstetten senkte den Kopf. »Wenn der Krieg vorbei ist«, sagte er leise, »werde ich sie heiraten. Nach Olga wird es für mich keine andere Frau mehr geben, kannst du das verstehen, Helge? So eine Liebe gibt es nur einmal …«
Unterarzt Ursbach legte den Arm um Stattstettens Schulter. »Und ob ich das kann, Junge. War's schön?«
»Wir … wir waren in einem Materialwagen, bis jemand an die Tür hämmerte und brüllte: ›Schluß jetzt mit der Rammelei! Ich brauch 'n Kanister Schmieröl …‹ – Helge, ich war noch nie so glücklich …«
»Aber der Krieg geht weiter, lieber Fähnrich Lorenz.« Ursbach stieß ihn mit der Faust freundschaftlich in den Rücken. »Ich muß raus und die Verwundeten aufsammeln …«
»Jetzt? Mitten in der Nacht?«
»Ein Lungenschuß kann nicht bis zum Morgengrauen warten … Ich habe schon mit dem Panzerkommandeur gesprochen. Wir werden Leuchtkugeln mit Fallschirmen hochschießen und in ihrem Licht das Feld durchkämmen. Vielleicht macht der Iwan mit und ist uns sogar dankbar dafür.«
»Humanität im Schlachthaus!«
»Sei froh darum … das ist schließlich der letzte Rest Menschlichkeit in uns!«
Mit drei Sanitätern meldeten sich Ursbach und Stattstetten bei der Panzerspitze. Auch die 4. Kompanie war hier hängengeblieben und hatte sich im Kusselgelände verteilt. Das Dorf Nowo Sloboda war weit auseinandergezogen. Es gab einen Ortskern und, weitläufig über das Land verteilt, zahlreiche Bauernhöfe. Dazwischen lagen Gärten und Felder, Viehweiden, mit Knüppelgattern eingezäunte Gehege für Schafe und Schweine. Alles war verlassen, ausgebrannt, zerschossen. Die eine Hälfte des Dorfes hielten die Deutschen, die andere Hälfte, bis hin zum Fluß, war noch in sowjetischer Hand. Hier war jede Ruine zu einer kleinen Festung ausgebaut. Weiter rückwärts, im riesigen Halbkreis von Obojan bis Korotscha, hatten die russischen Panzerdivisionen einen Vorschlag aufgegriffen, der – welch einmalige Kühnheit! – gegen den ausdrücklichen Befehl Stalins verstieß, daß alle Panzer offensiv zu bleiben hätten.
Generalmajor Nikita Chruschtschow, als politisch beratender General des Politbüros auch schon in Stalingrad an der vordersten Front, ließ alle verfügbaren Panzer im Kusselgelände, in Wäldern und auf freier Steppe eingraben! Auf diese Weise kam eine massive Feuerfront, ein Riegel aus stählernen Artilleriebunkern zustande, an der der deutsche Angriff zerschellte. Mit den Mitteln, die den deutschen Armeen noch zur Verfügung standen, war diese Linie nicht mehr zu durchbrechen. Chruschtschows Entscheidung machte Kriegsgeschichte.
Bauer III, der seinen Kompaniebefehlsstand in einer Scheune eingerichtet hatte, empfing seinen Fähnrich mit saurer Miene. Er war gerade dabei, Briefe zu schreiben.
»Verehrte Frau Schneider, lieber Herr Schneider, Ihr Sohn Franz, einer meiner besten Soldaten und ein von uns allen geschätzter Kamerad, ist heute an meiner Seite beim Sturm auf das Dorf Nowo Sloboda in tapferer Erfüllung seines Eides auf Führer und Vaterland für Großdeutschland gefallen. Seien Sie stolz auf ihn. Er starb, damit wir, die Heimat, unsere Kinder und Enkel in Frieden leben können …«
Er hatte schon viele solcher Briefe schreiben müssen, immer mit dem gleichen Text. Nur Name und Kampfort änderten sich. Und manchmal, wenn das Sterben allzu schrecklich gewesen war, setzte Bauer III noch hinzu: »Er hat nicht gelitten. Er war sofort tot. Mit militärischen Ehren haben wir ihn heute begraben. Ein Foto seines Heldengrabes schicke ich Ihnen bei Gelegenheit zu …«
Bauer III besaß gar keinen Fotoapparat. Aber die Eltern oder die Frau glaubten es und hofften und warteten und sagten sich, auch wenn nie ein Foto kam: Er hat nicht gelitten. Er hat ein schönes Grab. Mit Kreuz und Blumen. Vielleicht kann man es nach dem Kriege besuchen …
Noch wußte man nicht, daß die sowjetischen Soldaten auf Befehl Stalins alle deutschen Gräber in den zurückeroberten Gebieten einebneten, um keine deutschen Helden auf russischem Boden zu schaffen. Die Armeen der Toten verschwanden im Nichts …
»Zum Kotzen ist das!« sagte Bauer III und unterbrach seinen Brief an die Eltern Schneider. »Schon wieder zwei Tote. Und wieder Kopfschüsse! Hesslich hatte recht – sie sind wieder da, vor uns …«
»Das Frauenbataillon?« fragte Ursbach mit dumpfer Stimme und mußte sofort an Lida Iljanowna, die Studentin der Zahnmedizin, denken, die
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