Frauenbataillon
zwei Sanitätern sammelte er Verwundete auf, versorgte sie und stellte die Rücktransporte zusammen. Auch sowjetische Verletzte versorgte er genauso wie die eigenen Kameraden, was natürlich zu einem erheblichen Verbrauch an Verbandsmaterial und Medikamenten führte. Wer die Verwundeten zurückbrachte, mußte vom Hauptverbandsplatz neues Material mitbringen, und so wartete jetzt auch Stattstetten darauf, daß der Stabsarzt die beiden versprochenen Kartons herausrückte.
»So geht das nicht weiter«, hatte der Stabsarzt allerdings in einer Operationspause gesagt. »Bestellen Sie meinem jungen Kollegen da vorn: Wenn er die halbe Rote Armee mit Mull umwickelt, habe ich hier bald kein Schnippelchen mehr, um auch nur einen einzigen Nadelstich abzudecken! Ich weiß, ich weiß, der Arzt ist für alle da! Aber einem Nackten kann man nicht mehr in die Taschen greifen! Der Nachschub stockt auch bei mir …«
Da der Vormarsch stockte, als die sowjetischen Truppen sich vor Prochorowka und Korotscha festbissen und keinen Meter mehr hergaben, kehrte auch der Propagandatrupp von der Front zurück. Es gab keine Versprengten mehr – und eine kämpfende Truppe aufzufordern, die Waffen wegzuwerfen, kam selbst dem Sonderführer der PK-Kompanie zu blöd vor.
Stattstetten zuckte wie von einem Schuß getroffen zusammen, als hinter ihm plötzlich ein heller Schrei erscholl und eine Mädchenstimme seinen Namen rief.
»Lorenz! O Gott – Lorenz … du bist es …?!«
Er war vor lauter Überraschung und Glück unfähig, die Arme zu heben und ihr entgegenzulaufen. Nicht einmal einen Laut brachte er hervor, so groß war der freudige Schock. Nur seine Augen erfaßten die Gestalt, die in grauem Rock und grauer Bluse auf ihn zulief, die weißblonden Haare, die den Kopf umflatterten, die Hände, die sich ihm schon im Lauf entgegenstreckten.
Da war sie auch schon bei ihm, schlang die Arme um seinen Nacken und küßte ihn. Erst jetzt löste sich seine Lähmung; er umarmte sie, drückte sie an sich und meinte, vor Freude auf der Stelle sterben zu müssen.
»Olga Fedorowna …«, stotterte er, als ihr Mund den seinen einen Moment lang freigab. »Olitschka … Wo – wo kommst du her? O du … du …« Wieder preßte er sie an sich, bedeckte ihr Gesicht mit Küssen und kümmerte sich nicht im geringsten um die Zurufe der Verwundeten um sie herum, von denen »Tiefer! Tiefer!« und »Durch den Rock geht's nicht …!« noch die harmlosesten waren.
Später saßen sie zwischen abgestellten Protzen und Werkstattwagen auf der Erde im Gras, hielten Händchen, lehnten Kopf an Kopf und konnten kaum noch ruhig atmen, weil ihre Herzen verrückt spielten und das Blut fast schneller durch die Adern pumpten, als diese es bewältigen konnten.
»Du bist verwundet?« fragte sie nun schon zum fünftenmal, und er antwortete: »Es ist nur ein Kratzer. Schon verheilt. Eigentlich brauchte ich gar keinen Verband mehr.«
»Mein armer Liebling. Mein armer, armer Liebling!« Wieder streichelte und küßte sie ihn, und er legte seine Hand auf ihre vollen Brüste und spürte voll tiefer Seligkeit den aufgeregten Schlag ihres Herzens. Seine Finger knöpften die Bluse auf, glitten über ihre Nacktheit, und sie sah ihn an mit großen, runden blauen Kinderaugen.
»Ich liebe dich …«, sagte er. Ganz einfach ›Ich liebe dich‹ … das war so einfach und so weltumspannend, so natürlich und so sternenklar.
Und sie nickte, preßte seine freie Hand in ihren Schoß und seufzte, als seine Finger unruhig zu tasten begannen.
»Ich habe jeden Tag an dich geschrieben, Olga«, sagte Stattstetten mit trockener Kehle. »Weißt du, wie viele Briefe das sind? Ein ganzer Berg! Eine ganze Segeltuchtasche voll schleppe ich mit mir herum. Bestimmt zehn Briefe habe ich abgeschickt …«
»Keiner ist angekommen, mein Liebling …«
»An deine Feldpostadresse …«
»Nichts … gar nichts …« Sie seufzte und genoß seine streichelnde Hand. »Was hast du geschrieben?«
»Von Himmel und Hölle, über Gott und die Welt – und über uns. Geschichten habe ich geschrieben, Gedichte, Verse … Du warst immer bei mir … immer … Wie oft habe ich dir in Gedanken die Gedichte vorgetragen …«
»Jetzt bin ich da.« Sie barg ihr Gesicht in seiner Halsbeuge und begann zu zittern. »Sag ein Gedicht …«
Er hob den Kopf und schaute in den Himmel. Seine Hände lagen noch immer auf ihrer Brust und in ihrem Schoß.
Und er sprach von Sommer und Sonnenblumen, von Hoffnung auf ein Wiedersehen.
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