Frauenbataillon
befallen von der Angst, alle, die aus der Ausstellung kamen, könnten sie sofort erkennen. Aber die Furcht war unbegründet, auch die begeisterte Nachbarin hatte Stella nicht erkannt. Wie sollte sie auch? Die Heldin der Sowjetunion war gefallen, von den Deutschen erschossen, ihr Heldenbild hing im Museum – wer käme da auf den Gedanken, daß sie noch lebte, daß sie in Charkow herumlief, daß die tapfere Nachbarin Salnikowa mit ihrem mißhandelten Mann Pjotr in Wirklichkeit die tote Korolenkaja ist? Irrsinn, so etwas zu denken.
»Ich war ihm wie seine Tochter, hat Konjew geschrieben …«, stammelte sie. »Pjotr, du kennst Konjew nicht. Du weißt nicht, was es bedeutet, wenn Konjew so etwas geschrieben hat.«
»Sie hat es nie erfahren, Stellinka. Am 11. August ist sie gefallen.«
»Man – man wird Jugendheime nach mir benennen. Komsomolzenschulen. In den Schulbüchern werde ich stehen. An jedem 11. August werden Feiern stattfinden, werden Kinder singen, werden die Fahnen wehen. Heldin der Sowjetunion … O Pjotr!« Ihr Kopf sank gegen seine Brust, sie weinte, und er hielt sie fest, verschränkte die Arme auf ihrem Rücken und sagte kein Wort, weil es für das, was sie in diesem Augenblick empfinden mußte, keine Worte gab.
Erst als sie sich etwas gefangen hatte und mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht wischte, sagte er ganz vorsichtig:
»Wir beide sind noch nichts. Aber jetzt können wir aus dem Nichts etwas machen. Wir sind die Salnikows. Papiere haben wir, sogar mit meinem Foto. Was wollen wir mehr? Tausende gibt es, die weniger haben. Stella, unser Leben fängt wunderbar an!«
Er umfaßte ihre Schulter, und so gingen sie weiter durch die Sonne, durch die geräumten Straßen und die von Menschen belebten Parks, gingen durch diese schöne, zerstörte und doch wieder aufblühende Stadt, kreuz und quer, saßen am Rande eines Platzes auf einem Mauerrest und tranken süße Limonade, die eine Frau aus einem Kanister, den sie auf den Rücken geschnallt hatte, an die Spaziergänger verkaufte.
In dieser Nacht liebten sie sich nicht. Stella Antonowna weinte bis zum Morgengrauen fast lautlos in sich hinein. Erst als trübe Helligkeit durch das glaslose Fenster fiel, drehte sie sich um, tastete nach Pjotr, ahnte, daß er die ganze Nacht neben ihr wachgeblieben war und sie angesehen hatte, und sagte mit einer erschütternd kindlichen Stimme:
»Verzeih mir, Pjotr. Verzeih! Jetzt – jetzt ist es vorbei. Was geht eine Salnikowa die tote Korolenkaja an? Was soll sie trauern? Es gibt genug anderes zu tun für uns.«
Er streichelte ihren Körper und wußte nun, daß man aus Glück weinen konnte.
Es regnete im Oktober fast eine Woche lang, es wurde kalt, viel zu kalt für diese Jahreszeit. Die Fensterhöhlen wurden vernagelt, für Fensterglas gab es lange Wartezeiten und Bezugsscheine, und wie überall – da gibt es keine Unterschiede – bekamen zuerst die Behörden, die Offiziersunterkünfte, die Parteihäuser, die Kulturstätten und die Wohnungen verdienter Genossen eine Zuteilung von Glas. Der Kommandant des Güterbahnhofs, der einbeinige Major, war abgelöst worden, als die Zivilverwaltung das Regiment in Charkow wieder übernahm. Nun saß ein dicklicher Beamter auf dem Leitersessel, ein Genosse Iwan Semjonowitsch Finupkow, der eine zänkische Frau hatte und einen Sohn, der vor Kirow ein Auge verloren hatte. Ihm gefiel Stella Antonowna, er ernannte sie zur Gruppenleiterin und schob ihr an Bezugsscheinen zu, was er für sie bekommen konnte. Von der Unterhose bis zur Steppjacke war alles erhältlich, man mußte nur zu den Privilegierten gehören.
Charkow war nun, als Heimatlazarett, ein Ort der Erholung für alle notdürftig zusammengeflickten Verwundeten geworden, die sich hier ein paar Tage oder auch Wochen vergnügen durften, ehe man sie wieder hinausschickte zum Sterben.
Aber nun regnete es, die Transportzüge mit den Schlachtopfern stauten sich auf dem Güterbahnhof, die Lager waren voll, die Militärverwaltung schickte Milizen aus, um Wohnungen für Rekonvaleszenten zu beschlagnahmen, es war ein großes Herumlaufen und Fluchen, die Verwaltungsbeamten rauften sich die Haare und schrien die Transportführer an: »Nicht alles nach Charkow, Genossen! Es gibt auch noch Woroschilowgrad und Rostow, und in Taganrog ist es doch auch so schön, direkt am Meer, eine blühende Oase. Warum alles nach Charkow? Erbarmt euch doch!«
Stella Antonowna wurde angewiesen, bei der Sanitätsverwaltung mitzuhelfen, die
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