Frauenbataillon
dicken Fleischstückchen brannte an. Sie merkten es erst, als beißender Qualm durch das Zimmer zog. Und der Kochtopf war auch verdorben.
Es war ein sonniger Sonntag, Ende September, und die sowjetischen Armeen standen zum Sturm bereit auf Witebsk, Gomel, Kiew, Dnjepropetrowsk und Saporoshje. Charkow war nun hinterste Etappe und richtete sich mit einem Aufbauwillen ohnegleichen auf ein neues Leben im Frieden ein. Stella Antonowna und Pjotr Herrmannowitsch Salnikow – so soll er von jetzt ab heißen – gingen spazieren durch die aufgeräumte Stadt. Überall wurde gebaut, Schuttmassen wurden weggefahren, Trümmer eingerissen, Keller ausgegraben. Die Straßen waren schon lange frei. Seit einer Woche spielte ein Opernensemble ›Fürst Igor‹, drei Nationalballette tanzten, zwei Theatergruppen führten Stücke von Gogol und Gorkij auf, und aus dem Hinterland strömte die Zivilbevölkerung zurück und besiedelte wieder die große schöne Stadt. Die Wasserleitungen funktionierten wieder, es gab auch elektrischen Strom, und zehn Straßenbahnlinien verbanden ein Ende der Stadt mit dem anderen. Eine Abteilung der obersten sowjetischen Armeeführung, der Frontkriegsrat, hatte hier ihre Dienststelle eingerichtet, eine Militärausstellung ›Helden von Charkow‹ war eröffnet worden; sie zeigte Fotos von Panzerangriffen und brennenden deutschen Tigern, eroberte deutsche Fahnen und Standarten, Waffen und Uniformen. Am meisten erschütterten Bilder von weinenden Kindern in den qualmenden Trümmern ihres Hauses, vor dessen Eingang die getöteten Eltern lagen, und wie zum Trost gab es auch eine Ehrentafel mit den Porträtfotos der ›Helden der Sowjetunion‹, den unsterblichen Vorbildern für alle kommenden Generationen.
»Das sehen wir uns an«, sagte Pjotr, als sie von der Ausstellung erfuhren. Die Nachbarin war voller Stolz auf die Rote Armee zurückgekehrt von diesem Museum der Unsterblichkeit und hatte Stella fast eine Stunde lang davon erzählt.
»Njet«, sagte Stella. Sie hatte sich bei Pjotr untergehakt und ging mit ihm über den Theaterplatz spazieren. Die Sonne schien heiß, sie trug ein leichtes Baumwollkleid, das sie sich von den ersten Rubeln Lohn und einem bevorzugten Bezugsschein im neu eingerichteten Zentralmagazin gekauft hatte. Auch Pjotr hatte bessere Hosen und ein hellblaues Hemd bekommen und konnte endlich seine geflickte Bauernkleidung ablegen. Den Kopfverband hatte er verkleinert, nur noch um die Stirn trug er eine dicke Binde, und natürlich um Mund und Kinn, damit er nicht zu sprechen brauchte. Sein Russisch machte Fortschritte, die Aussprache machte ihm kaum Mühe, um so mehr die Grammatik. Auch mit dem Lesen ging es leidlich gut. Stella war eine strenge Lehrerin, sprach jetzt nur noch, abgesehen von langen Reden, russisch mit ihm, und er mußte russisch antworten, was in ihren Ohren noch lustiger klang als in den seinen ihre harte Aussprache und ihre Satzverdrehungen.
»Warum sollen wir nicht in die Ausstellung gehen?« fragte Pjotr.
»Der Krieg ist für uns aus, mein Liebling. Du bist Salnikow und ein Bauer.«
»Aus Minsk ein Bauer?«
»Auch um Minsk herum gibt es Bauern.« Sie sprach ganz langsam, damit er sich's ins Deutsche übersetzen konnte. Er antwortete ebenso langsam. Wenn er die Vokabeln nicht wußte, mischte er deutsche Wörter dazwischen, die Stella ihm dann auf russisch wiederholte. So lernte er zügig, aber es war dennoch eine große Mühe.
»Also gut. Den Bauern Salnikow interessiert der Große Vaterländische Krieg. Deshalb will er die Ausstellung sehen.«
»Ich will nie wieder etwas vom Krieg hören.«
»Noch haben wir Krieg, Stella! Und ich habe Angst, daß wir noch in hundert Jahren Krieg haben werden. Daß dieser Krieg nie aufhört! Daß die Menschen jetzt ganz planvoll angefangen haben, sich zu vernichten. Daß es nie mehr Frieden geben wird!«
»Bei uns doch, Pjotr.« Sie drückte sich beim Gehen an ihn und zog ihn weiter, als er vor der Ausstellung stehenblieb. Rote Fahnen und ein großes Emblem in Gold – Sichel und Hammer – zierten den Eingang. Darüber stand in goldenen Lettern: Unsere Helden – unvergessen für alle Zeiten.
»Es zieht mich magisch an, Stella«, sagte er mit trockener Kehle. »Wie siegessicher müßt ihr Russen sein, wenn ihr in Charkow bereits ein Kriegsmuseum eröffnet, während bei Smolensk noch gekämpft wird.«
»Du solltest nicht hineingehen. Du würdest – eure Toten wiedersehen …«
»Jeden Tag sehe ich die Gefangenentransporte,
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