Frauenbataillon
wenn sie durch Charkow fahren und im Güterbahnhof halten und Wasser und Brot und Suppe bekommen. Tausende meiner Kameraden. Ich bekomme Herzschmerzen, wenn ich ihre Augen sehe, ihr Lachen trotz Hunger und Durst, ihren Lebensmut: Wir haben den Krieg hinter uns. Schlimmer kann's nicht mehr werden. Eines Tages kommen wir in die Heimat zurück. Wo man uns jetzt hinbringt? Das ist doch Wurscht! In irgendein Lager. Ob hier oder am Don oder an der Wolga oder im Ural oder in Sibirien. Jungs, das sitzen wir ab wie auf 'nem Donnerbalken. Und ich stehe da, sehe sie an und kann nichts zu ihnen sagen. Bringe ihnen Wasser und Suppe, und sie rufen mir zu: ›He, Iwan, komm mal her. Noch'n Schlag drauf. Hast du Papirossy?‹ Und ich gehe weg, wortlos. Ich bin ja der Bauer Salnikow … Du, das alles ist verdammt schwer, Stella.«
»Was ist Donnärrbalken?« fragte sie.
»O Gott. Von allem hast du nur das behalten?«
»Was ist?«
»Eine Grube, darüber auf Pfählen eine Holzstange oder ein schmales Brett, und darauf, in die Grube hineinhängend, nackte Männerärsche …«
»Ein Schwein bist du!« sagte sie beleidigt auf russisch. Sie hakte sich bei ihm aus. »Geh allein spazieren.«
»Du wolltest eine Erklärung! Genau das ist ein deutscher Donnerbalken!« Er sah wieder auf den Eingang des Heldenmuseums. »Ich soll ein guter Russe sein und gehe hier vorbei? Stella, der richtige Salnikow hätte anders gehandelt.«
Sie zögerte, nickte schließlich und betrat vor ihm das Gebäude. Vor dem aus Gips geformten Kopf eines Rotarmisten brannte die ewige Flamme. Darunter stand in goldbronzierten Lettern: Wir starben für euer Leben. Schon dieser Vorraum war beeindruckend. Von den mit Fahnen bespannten Wänden blickten die Bilder von Lenin und Stalin mahnend auf die Eintretenden herab.
Der ›Raum der Helden‹ war ein großer Saal, gegliedert nach Themen: Die Schlacht am Don. Die Eroberung des Donez. Bjelgorod, das Mahnmal. Der deutsche Vormarsch ›Zitadelle‹. Der Siegeslauf vom 12. Juli. Charkow befreit. Dann die eroberten Fahnen und Feldzeichen, die Uniform eines deutschen Generalmajors auf einer Puppe, deutsche MGs und Gewehre, eine Pak, Flugblätter der Propagandakompanien, Munition von der Stielhandgranate bis zur Mine, ein deutscher Flammenwerfer, deutsche Orden, auch ein Ritterkreuz war dabei.
An der Längswand, umgeben von Kränzen und Fahnen, angestrahlt von vier Scheinwerfern, hingen die Heldentafeln der Roten Armee. Die Fotos der Ausgezeichneten mit einer kurzen Erklärung ihrer Taten.
Es war mehr als ein Schlag, der Stella Antonowna traf. Ihr Herz setzte aus, ihr Atem versagte … Sie fiel gegen Pjotr, der hinter ihr stand, sie sofort umfing und aufrecht hielt und ihr geistesgegenwärtig das Kopftuch tief ins Gesicht zog.
Auch er hatte im gleichen Augenblick wie sie das große Foto gesehen, im goldenen Rahmen, mit goldenem Lorbeer umrandet, umgeben von Briefen und Tagesbefehlen der Generale:
»Stella Antonowna Korolenkaja.
Heldin der Sowjetunion. Trägerin des Suworow-Ordens und des Woroschilow-Ordens. Heldin des Rotbanner-Ordens.
Sie war die beste Scharfschützin der Südfront. 349 Faschisten brachte sie den Tod, in vielen Sturmläufen war sie immer die erste. Maßgeblich beteiligt war sie am heldenhaften Kampf um den Brückenkopf von Melechowo. Genosse Generalissimus Stalin ernannte sie zur ›Heldin der Sowjetunion‹. Sie konnte die hohe Auszeichnung nicht mehr empfangen. Die Faschisten töteten sie bei einem Gegenstoß am 11. August 1943 an der Bahnlinie bei Stara Stalino.
Für alle, die nach ihr kommen, wird sie immer ein Vorbild sein.
Unvergessen sind die Helden des Volkes!«
In den Tagesbefehlen der Generale stand nichts anderes, nur ausführlicher. Nur General Konjew hatte geschrieben: Ich hatte sie lieb wie meine Tochter.
»Komm«, sagte Pjotr leise. »Komm.«
Sie nickte und ließ sich wegführen wie eine Blinde. Daß sie überhaupt gehen konnte, daß sie noch Beine hatte, die sie trugen, daß sie noch Knochen und Muskeln hatte, begriff sie nicht. Erst draußen auf der Straße, in der heißen Sonne, bei dem Lärmen und Rattern der Autos und Straßenbahnen und beim Anblick der vielen Menschen blieb sie ruckartig stehen, schob das Kopftuch höher und lehnte sich gegen eine Hauswand.
»Ich bin tot«, sagte sie tonlos. »Vor meinem Grabmal habe ich gestanden …«
»Du bist Stella Antonowna Salnikowa, sonst nichts! Du bist nie etwas anderes gewesen.« Er stellte sich vor sie, ganz nahe, plötzlich
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