Freakshow
Rheumas und manisch-depressiv. Du müsstest mal ihre Medikationsliste sehen, Kristof. Fantastisch.«
Es wurde Zeit, also fügte ich mich ins Unvermeidliche und ging mich umziehen. Als ich wieder rauskam, hatte der Gärtner meinen Platz eingenommen und teilte sich mit Scuzzi einen kleinen, mit verdeckter Hand gehaltenen Feierabend-Joint.
»Das ist Jacob, mit >C<, das Kristof, mit >K<«, stellte Scuzzi uns vor.
»Schicke Uniform«, sagte Jacob und begutachtete mich eingehend durch seine dunklen Gläser. »Obwohl - Hemden mit halbem Arm - also, ich weiß nicht.« Er war sehr jung, sehr blond, nahezu weißhaarig, und von dem gleichen herausfordernden Selbstbewusstsein, das Leistungssportler gerne an den Tag legen. Unter seiner grünen Latzhose trug er kein Hemd und unter seiner braunen Haut kein Gramm Fett. Er war einer dieser vollkommen natürlich schönen Menschen, neben denen man sich immer wie zweite Wahl vorkommt, wie Ausschussware vom Grabbeltisch. »Ist das ein guter Job - Wachmann?«, wollte er wissen.
»Ein Traum«, antwortete ich. »Eine täglich neue physische wie intellektuelle Herausforderung. Und unglaublich gut bezahlt. Und - Gärtner?«
»Das ist nur ein Ferienjob«, erklärte er gutmütig, sah an mir vorbei und strahlte auf. Neugierig drehte ich mich um. Johanna trat zu uns, immer noch in ihrem blauen Kittel, auf der Nase ihre Grace-Kelly-Sonnenbrille und unterm Arm eine Badetasche.
Der lang erwartete Koffeinschub setzte ein, wenn es nicht Adrenalin war. Oder Testosteron. Was auch immer. »Du siehst müde aus«, sagte sie zu mir. »Komm doch mit uns Schwimmen.« Sie strich sich mit der freien Hand durchs Haar, was eigentlich nicht nötig gewesen war und auch keinen sichtbaren Unterschied machte. Doch sie sah mich an dabei, was wie ein Weckruf wirkte. »Geht nicht.« Ich klang etwas rau, also räusperte ich mich, bevor ich mit einem bedauernden Achselzucken auf meine Uniform verwies. »Dienst.«
»Wie findest du eigentlich Kristofs Hemd mit halbem Arm?«, wollte Jacob wissen, offenbar einer von denen, die keine Ruhe geben können. »Oh, ganz schön sexy«, fand sie. »Sexy«, echote er mit hochgezogener Braue. »Was will ich machen, ich stehe nun mal auf Uniformen«, gestand sie mit gespielter Verlegenheit. »Und ich dachte, du stehst auf Gärtner«, murrte Jacob und erhob sich in seiner Latzhose. »Das auch«, gab sie zu. »Doch Uniformen …« Sie warf mir einen schrägen Blick zu. »Uniformen machen mich irgendwie … elektrisch.« Und sie erschauerte. Wirklich.
Mir blieb die Spucke weg. Die ganzen uniformlosen Jahre, also mein gesamtes bisheriges Leben, kamen mir mit einem Schlag vor wie in den Wind gepisst. Die beiden hakten einander unter und trollten sich. Ich seufzte unwillkürlich. Sie passten perfekt zusammen, und nicht nur vom Alter her. Unerträglich schöne, widerwärtig junge Menschen. Urplötzlich war mir danach, mir die Pulsadern zu öffnen. Mit dem schartigen Deckel einer Katzenfutterdose, wenn es denn sein musste.
»Die Bucht ist gleich da drüben«, rief Johanna noch über ihre Schulter zurück, und deutete vage in Richtung des Galgenbaums. »Morgen sind wir den ganzen Tag da.«
»Sie verarscht dich«, sagte Scuzzi und leckte das Blättchen des nächsten Sticks an. »Sagst du«, entgegnete ich.
»Glaub’s mir einfach. Du wirst dich noch wundern.« Möglich. Möglich, dass sie mich verarschte, möglich, dass ich mich noch wundern würde. Doch ich hatte gesehen, ganz genau gesehen, wie sich ihre Brustspitzen aufrichteten, als sie mich ansah und >elektrisch< sagte.
Haupteingang Mehrzwecks aal. Up. Hintereingang Mehrzwecksaal. Up. Lieferanteneingang Kantine. Up. Irgendwo in der Ferne rumpelten Gewitter, zuckten Blitze durch die Wolken, goss es womöglich. Haus Nr. 14. Up. Haus Nr. 20. Up. Haus Nr. 26. Up. Hier war’s einfach nur dunkel. Dunkel und schwülheiß, kaum kühler als am Tag. Ich schleppte mich durch meine Runden, stolperte über jedes noch so kleine Hindernis, rannte immer mal wieder irgendwo gegen, gern auch mit dem Kopf, weil ich die Augen meist länger zu als offen hatte.
Tor Baustelle. Up. Aufschließen, aufzerren, durchquetschen, zudrücken, abschließen, weiter.
Bürocontainer Bauleitung. Up. Materiallager. Up. Düster ragte die zur einen Hälfte abgerissene und zur anderen neuerdings denkmalgeschützte Ruine des alten Landeskrankenhauses vor mir auf. Haupteingang. Up.
Kurz, ganz kurz nur lehnte ich meine Stirn gegen den kühlen Stahl der Tür.
Ein
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