Freakshow
Geräusch weckte mich, auf den Knien, Stirn immer noch gegen die Tür gedrückt. Ein Geräusch voll Angst und Agonie. Ein Stöhnen. Ein Stöhnen von der Sorte, die einem das gesamte Körperhaar senkrecht von der Haut wegspreizt.
Geh dem nach und du könntest der Nächste sein, der solche Geräusche von sich gibt. Ich versuchte aufzustehen, scheiterte erst mal. Wie lange hatte ich da gekniet? Unter Schmerzen drückte ich meine Beine gerade. Das Stöhnen gewann an Intensität. Es schien aus dem Keller zu kommen, dem historisch so wichtigen, teilweise eingerissenen, völlig unbeleuchteten. Noch während ich zögerte, verwandelte sich das Stöhnen in ein geknebeltes, halbersticktes Schreien. Warum immer ich?
Kein Schlagstock, keine Pumpgun. Nur meine Taschenlampe, in all ihrer lächerlichen Winzigkeit. Ich knipste sie an, balancierte über die Trümmer der zerstörten Gebäudeseite, entdeckte einen Abgang, kraxelte ihn hinunter und fand mich im Gewölbekeller wieder. Alles war muffig, der Boden schlammig, die Wände bis auf Kniehöhe feucht, offenbar kürzlich erst durch einen Gewitterguss überflutet gewesen, stinkend von geborstenen Abwasserleitungen. Vorsichtig tastete ich mich vor bis zu einer Tür. Von dort her kamen die Geräusche des Grauens. Langsam drückte ich die Klinke, zog die Tür auf. Leuchtete in den Raum dahinter. Niemand sprang mich an, also machte ich einen Schritt hinein. Zu meinen Füßen, im Lampenschein, lag lang hingestreckt, Arme und Beine weit gespreizt angepflockt, die sich windende, stöhnende Gestalt eines auffallend großen Mannes unter einem graubraunen Teppich. Einem dicken, flauschigen, äußerst beweglichen Teppich, durchsetzt mit Hunderten abstoßend wurmartiger Schwänze. Ich schrie und trampelte mit beiden Beinen, geschüttelt von Ekel und Grausen, und der Teppich setzte sich in Bewegung, hechtete in einer einzigen, nahezu lautlosen Wellenbewegung über einen nahen Mauerrest und verschwand außer Sicht. Ratten.
Nackt, mal wieder, nur diesmal ohne Schlamm zu triefen, sondern aus unzähligen Wunden auf meinen Beifahrersitz blutend, ließ sich Alfred von mir ins Krankenhaus fahren.
Mann, er sah wild aus, so was von zerbissen, wenn auch so gerade noch an einem Stück, das meiste von ihm. Und nein, er wollte keine Polizei, vermutlich weil er nicht noch mal an Kommissar Hufschmidt geraten wollte.
»Alfred, ich habe dir gerade eben zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage den Arsch gerettet. Wirst du mir jetzt endlich verraten, was hier abgeht?« Doch er senkte nur den Kopf bis auf die Brust und ließ ihn da.
Empfangsschwester Rebekka staunte nicht schlecht, als wir reinkamen. »Diesmal ohne Polizei-Eskorte?«, wunderte sie sich amüsiert.
Ich fragte mich, ob Freunde sie >Becky< nannten, und verwarf es dann. Sie war nicht der Typ für >Becky<. Eher für Beck’s. Und nicht nur zum dran Nippen. »Sie haben Glück«, fuhr sie fort und zog sich einen Gummihandschuh über. »Dr. Korthner hat gerade den letzten wodkaseligen Rheinschwimmer in die Kühlung geschickt.« Damit fasste sie Alfred am Ellenbogen und führte ihn den Gang hinunter. Zurück blieben die blutigen Abdrücke seiner großen, nackten Füße.
Nicht ohne Zögern und gegen erhebliche innere Widerstände stieg ich zurück in den Keller. Trampelte ordentlich herum und leuchtete in alle Ecken und hämmerte dann auch noch ein paarmal kräftig gegen die Tür, im Bestreben, alles und, tja, jeden zu vertreiben, der sich möglicherweise auf der anderen Seite aufhielt. Mit Erfolg, wie es aussah.
Die Pflöcke waren noch im Boden, mitsamt den Schlingen des Klebebands, aus denen ich Alfred geschnitten hatte. Ich richtete den Lampenstrahl nach unten, ließ ihn wandern. Der angeschwemmte Grund war etwa daumendick, feucht, lehmig, an den Rändern noch regelrecht schlammig, zur Mitte hin aber fest genug, um darauf laufen zu können, ohne einzusinken. Fußspuren überall, von Turnschuhen, von Badeschlappen, von nackten Füßen, riesig die von Alfred, vergleichsweise zierlich die anderen. Ein Strick oder ein Kabel war stellenweise in den weichen Grund getreten und dann wieder entfernt worden. Die hohle, noch frische, scharfkantige Spur führte zur nächsten Tür und drunter durch. Ich drückte die Klinke, zerrte das klemmende Türblatt auf, leuchtete in den Raum, der leer war bis auf einen alten Holztisch. Eine Gänsehaut überzog mich. Schwer zu sagen, warum mich gerade der Anblick dieses Tisches so gruselte. Es war nichts als ein
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