Freakshow
kühlte mich ein wenig ab.
»Ich habe einen Job«, entgegnete ich, um etwas zu entgegnen.
Leblanc ließ eine kleine Pause entstehen, in der er mich ungerührt musterte. »Nachtwächter«, sagte er dann. In völlig neutralem Tonfall. Und doch. Man kann es drehen und wenden, wie man will, aber irgendwie lässt sich dem Wort >Nachtwächter< kein bewundernder, kein schwärmerischer Ausdruck verleihen. Anders als zum Beispiel >Dirigent< oder >Philologe<, was immer das sein mag. Es gibt Stardirigenten, und es gibt weltberühmte Philologen, auch wenn mir im Moment keiner einfallen will, aber ein Nachtwächter bleibt irgendwie immer ein Nachtwächter. Ich dachte kurz daran, den Objektschützer raus zukehren, und verkniff es mir dann. »Wir haben einen seiner ehemaligen Untergebenen verhaftet, einen Brigadier, der seit Monaten Polizei-Interna an Peelaert weitergereicht hat.«
Protektion aus den eigenen Reihen, na klar, dachte ich. Protektion für einen flüchtigen pädophilen Sadisten. Wie sonst hätte sich der ehemalige Luxemburger Untersuchungsrichter so lange einer internationalen Fahndung entziehen können?
»Hauptsächlich Informationen über diesen Jungen.« Leblanc zog ein Foto aus seiner Mappe, dann ein Datenblatt. »Yoginda Khan. Genannt >Yogi<. Zwölf Jahre alt. Pakistanischer Abstammung. Ist vor nicht ganz einem Jahr aus einem Luxemburger Kinderheim entwichen. Vermutlich nachdem Peelaert ihn wiederholt bedrängt hatte.«
Ich nahm das Foto. Ein knopfäugiger, schmaler Knabe mit dunkler Haut und schwarzem Wuschelkopf. »Dass Peelaert selbst auf der Flucht weiter nach dem Jungen sucht ist auffällig«, fuhr Leblanc fort. »Die reine Liebe«, sagte ich, und der Commissaire nickte. Ich überflog das Datenblatt. Yoginda war seit einem Busunglück vor vier Jahren Vollwaise. Und für Leute wie Peelaert nichts als Fickfleisch. Es ist manchmal nicht zu fassen.
»Bevor Yoginda nach Luxemburg kam, hat er in Duisburg gewohnt. Es ist somit wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher, dass er hierhin zurückgekehrt ist. Kryszinski, ich möchte, dass Sie diesen Jungen finden. Bevor Peelaert es tut.«
»Okay«, sagte ich. »Doch Sie müssen mir einen Vorschuss zahlen.«
»Genau davor«, sagte Leblanc, »hat Menden mich ausdrücklich gewarnt.«
Kein Vorschuss, mal wieder. Ich sah Leblancs Porsche hinterher, dann auf die Uhr. Nicht mehr viel Zeit bis zum Dienstantritt. Eine Belohnung hatten sie ausgeschrieben, die Luxemburger Behörden, für Hinweise zum Verbleib des pakistanischen Jungen sowie fünfzehn anderer verschwundener Heimkinder.
Belohnungen, Erfolgsprämien, die Aussicht auf Überweisung eines Monatslohns - lauter Äquivalente zur metaphorischen Möhre an der Angel.
Mit der Kaffeekanne in der Hand schlurfte ich rüber zur Kantine, für Koffein und vielleicht auch sonst eine Aufmunterung. Doch Johanna war nicht da, stattdessen ein unscheinbares Mausi mit gelben Zähnen, so dass es bei Koffein blieb.
Ich musste ein Auto finden, ein Kind retten, Baustoffdiebe und Saboteure und Alfreds Peiniger stellen, einen Hund befreien, plus, ehe wir’s vergessen, einen Nachtwächter-Job erledigen. Die Frage war nur, wann ich schlafen sollte.
Ich hockte mich unter den Kirschbaum, schlürfte Kaffee und wartete auf das Einsetzen der Wirkung, auf einen noch so kleinen Schub von Energie. Die Wut, die mich beim Gedanken an Peelaert gepackt hatte, war abgeflaut und einem tiefen Unbehagen gewichen. Ich hätte den Auftrag nicht annehmen sollen, dachte ich, ich war ihm schon rein zeitlich nicht gewachsen. Scuzzi setzte sich zu mir, einen unverfänglichen Eistee in der Hand, dem niemand den Wodka-Anteil ansehen konnte. Angefressen von Neid, ignorierte ich ihn und starrte schweigend in die Gegend. Eine ungeheuer dicke Frau kam langsam wie Treibgut die Straße herunter, mit Armen, so stark und haarig wie die eines türkischen Ringers, und einem rot und weiß gestreiften Kleid, das sie wie ein wandelndes Zirkuszelt aussehen ließ. Die Fülle ihres Haares hing ihr vorn bis in die Augen, der Rest hinten bis weit über den Arsch. Mit unglaublicher Konzentration platzierte sie jeden ihrer Schritte, als traue sie dem Grund unter ihren Füßen nicht, und sah sich die ganze Zeit misstrauisch nach allen Seiten um.
»Albertine«, sagte Scuzzi zärtlich und winkte der Frau, die daraufhin wie gehetzt auf die andere Straßenseite wechselte. Langsam, Schritt für Schritt, aber doch. »Zwangsneurotikerin, Angstneurotikerin, Schmerzpatientin wegen ihres
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