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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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entlassen werden.«
    »Als wie gefährlich würden Sie diese Attacken eigentlich einschätzen?«
    »Nun ja. Wenn unser Patient allergisch auf Ameisengift reagiert hätte, wäre er mit hoher Wahrscheinlichkeit gestorben. Doch auch ohne allergische Reaktion hätten die in den Nasen- und Rachenbereich eingedrungenen Ameisen eine solche Schwellung verursachen können, dass der Patient ohne Notfallversorgung erstickt wäre. Und die Ratten hätten früher oder später ein größeres Gefäß angeknabbert, und damit wär’s dann auch vorbei gewesen. Gnädigerweise.«
    »Also zweimal Mordversuch?«
    Dr. Korthner machte eine vage Geste. »Oder zwei Kinderstreiche«, meinte er. »Die Schwierigkeit wird sein, eine Tötungsabsicht nachzuweisen.«
    »So perfide wie schlau.«
    »Ja.«
    »Die Frage bleibt, wieso Alfred sich nicht zur Wehr gesetzt hat. Oder haben Sie Spuren eines Kampfes an ihm entdeckt?«
    »Nein, nichts dergleichen.«
    »Das würde bedeuten, er hat sich freiwillig fesseln lassen.«
    Dr. Korthner gähnte, wog den Kopf hin und her. »Nachdem er sich erst nackt ausgezogen hat«, erinnerte er. »Also liegt irgendeine sexuelle Verstrickung nahe. Doch spätestens nach den Ameisen hätte er klüger sein müssen.«
    »Außer, man hat ihn betäubt. Oder bedroht. Mit vorgehaltener Waffe, zum Beispiel.«
    Der Arzt blickte skeptisch. »Aber gleich zweimal hintereinander? An zwei leicht zu, na ja, vermeidenden Orten? Hört sich schwierig an.«
    Nicht, wenn man über ein entsprechendes Lockmittel verfügt, dachte ich.
    Ein Pieper ging los. Dr. Korthner trat an einen Seziertisch, drückte einen Knopf und sagte: »Bringen Sie sie rein.« Und er begann, sich zwei lange, grüne Handschuhe anzuziehen, wandte sich aber noch mal an mich. »Wer immer hinter den beiden Taten steckt, weiß ganz genau, was er tut. Es wäre leichtsinnig, ihn oder sie zu unterschätzen.«
    »Nächstes Mal bringen sie dich um, Alfred.« Ich hatte den Schlüssel im Zündschloss, doch ich startete nicht, sondern saß da und betrachtete meinen Beifahrer lange und geduldig. Er wurde nicht hübscher, je mehr Kleintiere sich in ihn verbissen. Die zahlreichen, hellen kleinen Pflaster auf der von Desinfektionsmittel geröteten Haut ließen ihn aussehen wie einen menschlichen Fliegenpilz. »Und dann kannst du mir nachher nicht mehr erzählen, wer’s gewesen ist. Also, ich an deiner Stelle würde jetzt reden. Bevor’s zu spät ist. Ich bin ganz Ohr.« Als er nicht reagierte, tat ich so, als wolle ich starten und losfahren, bevor ich abrupt wieder zu ihm herumfuhr. »Wer war das Kind, Alfred?« Er sah mich aus großen Augen an, völlig überrascht. »Das Kind, Alfred! Unten, im Keller? Auf dem Tisch?« Alfred senkte den Kopf, schüttelte ihn, hob eine abwehrende Hand. Schweigen folgte. Er fing an, mir gewaltig auf den Sack zu gehen, doch ich riss mich zusammen. »Alfred, wen hat man da unten im Keller an den Tisch gefesselt?« Und warum, und wer hat das getan, interessierte mich auch. Doch ich wusste, wenn ich ihn überforderte, bekam ich gar nichts mehr aus ihm heraus, also noch weniger als das Nichts, mit dem er mich fütterte. »Du warst doch dabei.«
    Ich habe genug Verhörsituationen hinter mir - meist auf der falschen Seite, jaja, wir wollen gar nicht erst damit anfangen, so zu tun, als wäre man als Privatdetektiv in der Lage, großartig Verhöre zu führen, doch egal -, um zu wissen, was die Körpersprache verrät, auch wenn der Befragte jede Aussage verweigert. Alfreds Schweigen war nicht die verstockte Variante, nicht die verängstigte, nicht die arrogante >Da kommt ihr mir nie drauf<-Sorte. Alfred sah starr zu Boden, wagte keinen Augenkontakt, wand sich, innerlich wie äußerlich. Alfred schwieg aus Scham.
    Und je mehr ich in ihn drang, desto verkrampfter wurde er. Ich würde seine Logopädin mit einspannen müssen. Ohne ihre Methodik war nichts, aber auch gar nichts aus Alfred herauszuholen. Ich seufzte und drehte den Zündschlüssel.
     
    Eigentlich war es ein Umweg, lag die Tierklinik doch alles andere als direkt auf der Rückroute zum Village. Und es war deshalb etwas unerklärlich, warum ich diesen Weg nahm, vor allem ohne Geld und ohne neuen Plan.
    Da sah ich ihn. Angeleint, was er hasst. Und in Begleitung von gleich vier Artgenossen, was ihn ebenfalls ankotzt.
    Ich stoppte, bat Alfred, zu warten, und war mit einem Satz aus dem Wagen. Zielstrebig und mit breiter Brust querte ich die Straße und stellte mich der jungen Hundeführerin in den Weg.

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