Freakshow
Struppi flippte nahezu aus, als er mich erkannte, und die junge Frau riss an seiner Leine und schnauzte ihn an. Dann sah sie wütend zu mir auf. Mit routinierter Flüchtigkeit zeigte ich meinen Ausweis und stellte mich als Hufschmidt, Mitarbeiter des Duisburger Ordnungsamtes vor. Ihre Miene nahm einen Ausdruck trotziger Bockigkeit an.
»Sie sind sich bewusst, weswegen ich Sie anspreche?«
»Hä?« Ihr wie mit Domestos gebleichtes, asymmetrisch geschnittenes Haar wuchs am Scheitel daumenbreit pechschwarz nach, was immer sehr einnehmend aussieht.
»Sie sind dabei, aktiv gegen die Hundeführerverordnung des Veterinäramtes zu verstoßen.«
»Hä? Wieso das denn? Die Viecher sind doch angeleint und alles.« Sie kaute Gummi mit offenem Mund, trug ein Lonsdale-Shirt, eine längs der Beine gedruckknöpfte Trainingshose und Flip-Flops. Die Nägel ihrer Finger wie Zehen zierten Reste rosametallicfarbenen Lacks. Falls sie ihr Outfit in der Intention gewählt hatte, um jeden Preis den Eindruck größerer Nachdenklichkeit zu vermeiden, musste ich ihr vollen Erfolg bescheinigen. »Ach ja?« Ich gönnte ihr ein besserwisserisches Lächeln, für das ich mich, an ihrer Stelle, augenblicklich geohrfeigt hätte. »Dann zählen Sie mal nach - Sie können doch zählen?« Bis zu einem gewissen Grad, las ich aus ihrer zwischen Wut und Unsicherheit pendelnden Miene. »Laut Verordnung darf kein Hundeführer mehr als zwei Tiere gleichzeitig ausführen. Sie aber haben … hm? Fünf.«
»Na und?« Sie blies eine Kaugummiblase und zerbiss sie mit einem Knall. »Wenn ich immer nur mit zweien Gassi gehe, kriege ich ja nie Feierabend. Und überhaupt, da müssen Sie sich bei der Klinik beschweren. Ich mach nur, was man mir sagt.« Damit wollte sie weiter. Doch ich stand im Weg und rührte mich nicht. »Irrtum«, belehrte ich sie. »Die Verantwortung für den Verstoß liegt ganz allein bei Ihnen. Und die Gebührenordnung sieht ein Verwarngeld in Höhe von einhundert Euro pro Hund vor.«
»Hä? Watt?! Von mir kriegen Sie nix.« Und schon hatte sie ihr Handy aus der Tasche gezogen. »Moment!«, befahl ich. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag zur Güte: Ich sammle die überschüssigen Hunde ein und überführe sie ins städtische Tierheim, wo Sie sie dann jederzeit abholen können.«
Minus einen. >Was soll das heißen, Frau Spirititolu, mein Hund sei verschwunden?< Allein die Ausbildung dieses Tieres hat mich mehr als dreißigtausend Euro gekostet. Ich kann nur hoffen, Sie sind gut versicherte Ja!
»Nix da! Da ruf ich erst ma in der Klinik an.« Und sie begann, Tasten zu drücken.
»Das wird nicht nötig werden.« Ich trat einen Schritt vor und griff mir drei Leinen. »Geben Sie mir einfach die überzähligen Tiere …«
»Hey, lassen Sie die Leinen los! Sind Sie bescheuert geworden?« Ihre Stimme, sobald gehoben, erinnerte fatal an das Geräusch eines Asphalt schneidenden Trennschleifers. Köpfe drehten sich in unsere Richtung. »Loslassen! Hilfe! Der will mir die Hunde klauen! Loslassen!«
Aus dem Nichts heraus materialisierte sich neben uns eine korpulente Mittfünfzigerin mit einem Pudel an der Leine und einer Handtasche im Zementsackformat über der Schulter und meinte, sich einmischen zu müssen. »Lassen Sie die junge Frau in Ruhe«, bölkte sie mich an. Mehr Hundehalter wuchsen ringsum aus den Kulissen, es war nicht zu glauben.
»Treten Sie zurück«, befahl ich. »Dies ist eine Amtshandlung. Hat Ihr Hund überhaupt eine Steuermarke? Sonst muss ich den direkt mitbeschlagnahmen.« Inzwischen hatte, wie das so ist, die Hundeführerin ihr Handy am Ohr. »Ja, Nina hier, Frau Spirititolu. Hier ist so ein Kerl, der behauptet vom Amt zu sein, und versucht, mir die Hunde wegzunehmen … Was? … Ja, genau so sieht er aus …« Ihr Blick bohrte sich in meinen, ihre handyhaltende Hand zeigte anklagend auf mich. »Der ist gar nicht vom Amt«, ließ sie das gesamte Stadtviertel wissen. »Der will nur seine Rechnung in der Tierklinik nicht bezahlen.«
Meine Lage nahm jetzt sehr rasch ungemütliche Züge an. Also startete ich einen letzten, ruppigen Versuch, Struppis Leine aus Ninas Griff zu lösen, doch da traf mich auch schon die Handtasche der Pudelfrau am Schädel, und als ich herumfuhr, um der feisten Tante einen Tritt zu verpassen, hielt die mir eine Sprühdose entgegen und presste ohne zu zögern den Knopf. Ein Strahl fuhr mir wie eine Stichflamme in die Nase und löste dort ein infernalisches Brennen und augenblickliche, vollständige
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