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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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etwas anderes gewesen, doch im gesamten Umkreis des haufenförmigen Gewimmels gab es nur die unregelmäßigen Verwerfungen, die Alfreds hopsendes Entkommen hinterlassen hatte. Auf den Haufen selbst hätte er genauso gut vom Himmel gefallen sein können. Außer man hatte ihn getragen. Aber wer war dann >man    Schließlich fand ich seine Klamotten, ein loses Bündel, am Fuß einer grasbewachsenen, kreisrunden Mulde inmitten einer Lichtung. Wahrscheinlich einer der zahllosen Bombenkrater aus dem Zweiten Weltkrieg, nur dass der Wald diesen hier warum auch immer noch nicht wieder zurückerobert hatte. Ich rief nach Alfred, wedelte mit seiner Hose, doch anstatt angerannt zu kommen und endlich diesen peinliehen Pyjama loszuwerden, zögerte er, als ob er sich nicht recht aus dem Wald und auf die Wiese traute. Ich fragte, was er habe, forderte ihn auf, zu kommen, doch nein, er zierte sich. Schließlich warf ich ihm die Sachen zu, und er verzog sich hinter ein Gebüsch. Vögel piepten, die Sonne jagte die Temperaturen in die Höhe, mein Bett rief mich. Ohne Struppi kam mir das ganze Grün ringsum komplett sinnlos vor. Okay, es versorgte die Atmosphäre mit dem für den Betrieb unserer Verbrennungsmotoren so unabdingbaren Sauerstoff, doch machte das meine Anwesenheit in seiner Mitte nicht sinnvoller.
    Nicht weit von der Lichtung reflektierte etwas großes, blendend Weißes das Sonnenlicht durch das Blattwerk hindurch. Ein schmaler Trampelpfad schlängelte sich darauf zu, also folgte ich ihm ein paar Schritte, bis ich ein Gebäude erkennen konnte. Ein Gebäude wie ein von einer hohen Mauer umgebener Bauernhof, mit schwarzen Pfannen auf dem Dach, die Fassade offensichtlich frisch gestrichen. Das Fehlen jeglicher Fenster oder Türen auf der Waldseite gaben dem Ganzen etwas Unbeteiligtes, Abweisendes.
    Nach einem Moment bräsiger Ambivalenz - was tat ich hier, was ging es mich an? - machte ich kehrt, entschlossen, Alfred nach Hause zu fahren und dann schnellstmöglich meine Matratze aufzusuchen und für ein paar Stunden am Davonfliegen zu hindern. Alfred war inzwischen zum Auto zurückgekehrt und saß umgezogen und wartend auf dem Beifahrersitz. Wartend und schweigend. Plötzlich war mir danach, es doch noch mal mit der Methode Hufschmidt zu versuchen. Nicht dass es Antworten gebracht hätte, aber trotzdem. Mir war danach. Also baute ich mich breitbeinig vor Alfred auf, stemmte die Fäuste in die Hüften und sagte: »Entweder du antwortest jetzt auf meine Fragen, oder ich pack dich am Kragen und schüttle dich durch bis du’s tust. Ich zähle bis drei: Eijenns, zawei …«Ich brach ab.
    Er hatte das Fenster hochgekurbelt und den Türknopf runtergedrückt.
     
    »Die Elenor-Nathmann-Stiftung ist eine Einrichtung des Betreuten Wohnens, Herr Kryszinski. Wir beherbergen geistig wie körperlich Behinderte, Senioren, und wir unterhalten auch eine Abteilung für trockene Alkoholiker.« Einen Augenblick lang sah Frau Dr. Marx mich abwartend an, ganz so, als wäre ein Stichwort gefallen, auf das ich hätte anspringen sollen, bevor sie, als ich nicht reagierte, säuerlich fortfuhr. »Da sind Zwischenfälle wie dieser nicht zu verhindern. Wir können die Bewohner schließlich nicht an die Kette legen.« Ein Seufzen. »Und wollen es natürlich auch gar nicht«, fügte sie eilig, wenn auch wenig überzeugend hinzu. Frau Dr. Marx also, ausgerechnet. Die biestige, rollstuhlfahrende Ärztin hatte uns gleich bei der Ankunft in der >Village< genannten Wohnanlage abgepasst und in ihr Büro beordert. Ein Schild an der Tür und ein weiteres auf ihrem Schreibtisch wiesen sie als Leiterin der Stiftung aus.
    »Doch Sie sehen ja selbst, was dabei herauskommt.« Sie deutete vorwurfsvoll auf den von roten Pusteln bedeckten und mit hängendem Kopf maximal betreten dreinblickenden Alfred.
    »Alfred, meines Wissens nach sind Sie heute zur Pflege der Anlagen eingeteilt. Also bitte.« Er machte erleichtert kehrt und duckte sich unter dem Türrahmen durch.
    »Wir sprechen uns dann später noch«, schickte sie ihm hinterher, mit der klaren Intention, ihm den Tag zu versauen.
    Ganz ihr liebreizendes Selbst. Wie Alfred und ich war auch Frau Dr. Marx eine Veteranin des einstigen Resozialisierungsexperiments in Bergtourform. Sie hatte mir damals eine Gewehrkugel aus der Arschbacke gepolkt, doch aller gebotenen

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