Freakshow
Dankbarkeit zum Trotz hatte ich sie vorher nicht gemocht und nachher nicht gemocht, mochte sie immer noch nicht und sah auch für die Zukunft eher schwarz, was meine Gefühle für sie anging.
»Wir haben uns lange nicht gesehen«, wandte sie sich mit einer Sachlichkeit, der nicht viel zur Schroffheit fehlte, wieder an mich. »Doch wie es der Zufall will, könnte ich möglicherweise Ihre Dienste gebrauchen.« Frau Dr. sah mich erzwungen freundlich an. Ich sah wenig begeistert zurück.
»Wusste gar nicht, dass Sie hier arbeiten«, sagte ich schließlich, um auch mal etwas zu sagen. »Und dass Alfred hier wohnt. Ist Egon auch hier? Oder sonst einer von der Truppe?«
»Nein. Nachdem man mir diese Stelle angeboten hat, habe ich explizit Alfred ermutigt, mit hierhin umzuziehen. Die logopädische Versorgung ist so ziemlich die beste im Land.«
»Davon habe ich bisher noch nicht viel gemerkt«, sagte ich, doch sie ging nicht darauf ein. »Zurück zu dem Angebot, das ich Ihnen unter Umständen machen könnte. Ich denke, ich übertreibe nicht, Herr Kryszinski, wenn ich sage, dass sich hier merkwürdige Dinge abspielen.« Sie sah mich ernst und abwartend an.
»Aha«, sagte ich schließlich und bemühte mich, dreinzublicken wie jemand, dem solch ein Statement die Socken auf links zieht.
»Ist >aha< etwa alles, was Sie dazu zu sagen haben?«, fragte sie vorwurfsvoll.
Vorwurf und Wehklagen waren ihre liebsten Ausdrucksformen, grundsätzlich vorgetragen mit einer gezogenen, gern auch mal ins Weinerliche abdriftenden Stimmlage, die mich fatal an das Gejanke meiner Katze erinnerte, und genau das verwehrte es mir, etwas anderes für die Frau Dr. zu empfinden als einen ausgesprochen wetterfesten Widerwillen.
»Ich erhole mich noch von dem Schock, den Sie mir mit Erwähnung der >merkwürdigen Dinge< eingejagt haben«, sagte ich. »Sie hätten mich vorwarnen können.« Wir saßen uns an ihrem altmodischen Schreibtisch gegenüber. Sie fummelte die ganze Zeit mit einem langen, spitzen Bleistift herum, und ich sehnte mich nach einem Bier, einer Zigarette, einem Tag Schlaf und spielte mit dem Gedanken, einfach aufzustehen und zu gehen. Ich hatte Menden meinen Führerschein abgeluchst, ich hatte Alfred nach Hause gefahren und ebenso einfühlsam wie leider ergebnislos befragt. Alles weitere brauchte mich eigentlich nicht zu kümmern. »Ich frage mich nicht zum ersten Mal, was Sie hinter Ihrem Sarkasmus zu verbergen versuchen.«
»Ja, das ist auch mir ein Rätsel.«
Frau Dr. setzte ihren Rollstuhl ein Stück zurück, steuerte ihn dann um den Schreibtisch herum und brachte ihn knapp vor meinen Zehen zum Stehen. »Wir sind dabei, hier die modernste forensische Klinik Deutschlands zu bauen«, dröhnte sie mich an. »Und je näher wir unserem Ziel kommen, desto hässlicher wird der Widerstand der zum großen Teil reaktionären oder religiös verblendeten Anrainer.«
»Na ja«, meinte ich. »Wer will schon gerne Tür an Tür mit kriminellen Wahnsinnigen …«
»Verschonen Sie mich mit Ihren Ansichten«, unterbrach Frau Dr. mich barsch. »Ich kann diesen Satz nicht mehr hören.« Sie ruckte ihren Rollstuhl gereizt hin und her.
»Wie steht es eigentlich momentan um Ihre berufliche Auslastung?«, wollte sie dann wissen.
»Tja«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
»Ich habe natürlich keinerlei Budget, um einen Detektiv zu engagieren, doch ich kann Ihnen - vorausgesetzt, Sie sind mittlerweile drogenfrei … Das sind Sie doch, oder?«
»Tja«, antwortete ich.
»Also unter der Voraussetzung - nein«, sie stach ihren Bleistift so energisch in meine Richtung, dass ich unwillkürlich den Kopf zurücknahm, »unter der Bedingung völliger Drogenfreiheit und alkoholischer Abstinenz kann ich Ihnen eine Stelle hier im Hause anbieten, und zwar als …«
»Sagen Sie’s nicht«, unterbrach ich sie hastig. Sie blickte überrascht. »Es ist natürlich nichts Großes, aber immerhin eine feste Anstellung als …«
»Bitte nicht. Ich hab’s mal versucht, und die eine Erfahrung reicht mir.«
»Aber ein Job als Wachmann sollte doch ganz auf Ihrer Linie liegen.«
»Ach so«, sagte ich. »Wachmann.«
»Ja, natürlich. Was hatten Sie denn erwartet?«
»Hausmeister«, antwortete ich.
»Also, hätten Sie Interesse?«
»Wenn, dann brauchte ich einen Vorschuss«, sagte ich, und Frau Dr. brach ihren Bleistift mittendurch.
Ich erklomm die letzte Stufe, hoch zur siebten Etage, reich an Schweiß, wenn auch knapp an Luft, doch alles ist besser als mit
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