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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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dem Aufzug stecken zu bleiben. Ich erklomm also die letzte Stufe und ein irgendwie lagerfeuriger Geruch weitete mir die Nüstern. Rum ums Eck, und mein Freund Pierfrancesco Scuzzi taumelte mir entgegen wie ein Schlafwandler nach einem Schlag auf den Schädel.
    »Kristof.« Er erkannte mich. Immerhin. »Ich wollte zu dir«, erklärte er im Tonfall eines vollkommen verblüfften Kindes. »Aber du warst nicht da.«
    »Na so was«, sagte ich beruhigend.
    Weiß der Schinder, was er sich wieder eingepfiffen hatte. In Scuzzis Haar allein ließe sich eine wahrscheinlich größere Vielfalt an Wirkstoffen nachweisen als in hundert Metern noch so wohlsortierten Apothekenregals. Von seinem Blut wollen wir gar nicht erst anfangen.
    »Aber komm, lass uns reingehen.« Ich fasste ihn sachte am Arm, und er ließ sich willig den Flur hinabführen. »Es ist alles weg«, sagte er übergangslos und offenbar nur halb anwesend. »Alles«, wiederholte er. »Alles weg. Verbrannt.«
    »Verbrannt«, echote ich nicht wirklich überrascht, hatte Scuzzi doch etwas ausgesprochen Angeschmurgeltes an sich, mit rußigem Gesicht und Händen, Brandlöchern in seinem T-Shirt und der alten Jogginghose, mit der er es sich spätabends so gern gemütlich macht. Dazu kam der schon erwähnte, nicht von der Hand zu weisende Geruch, der entfernt an Mettwurst erinnerte. Die aus dem Buchenrauch.
    »Ja, verbrannt. Alles. Meine Wohnung, meine Sachen - es ist alles weg. Alles.«
    Ich weiß nicht, wieso, aber als Erstes kreuzte Scuzzis Plattensammlung den Pfad meiner Gedanken, und das rechte Mitgefühl, das Gefühl, Zeuge eines großen, tragischen Verlustes zu werden, wollte und wollte sich nicht einstellen.
    »Wie konnte das passieren?«, fragte ich, weil so was in solchen Momenten von einem erwartet wird. Davon abgesehen hatte ich schon das ganze Szenario vor Augen: Es begann mit einer entschlossen niedergerungenen Flasche Calvados.
    »Ich habe keine Ahnung.« Sein ausweichender, leicht gehetzter Blick strafte ihn Lügen. »Vielleicht Brandstiftung?«
    »Brandstiftung«, wiederholte ich und bekam einen Unterton von Skepsis nicht vollkommen aus der Stimme verbannt. Der leeren Flasche Calvados folgte ein fetter Joint.
    »Ja. Damit mein Vermieter die Versicherung abkassieren kann, was weiß denn ich. Oder mein Laptop ist implodiert.«
    »Dein Laptop. Implodiert.« Zum Joint gesellten sich zwei schwere Lider.
    »Oder mein Fernseher. So was passiert. Ich weiß nur, plötzlich war die ganze Bude voll Qualm und Flammen.«
    Schwere Lider. Eine Glut, dick wie ein Weinkorken, in sackender Hand. Ein wie auch immer gestaltetes Polstermöbel. Sessel, Sofa, Federkernmatratze. Glut trifft Textil. Ein Moment der Vereinigung. Ein Schwelen, ein Kokeln, ein Aufflammen. Dann: Lalü-lala. Ich sagte nicht: Wie furchtbar. Ich sagte nicht: Oh, mein Gott, da hast du ja gerade noch mal Glück gehabt. Ich sagte aber auch nicht: Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst die Scheiß-Kifferei im Bett sein lassen? Stattdessen sagte ich: »Wie blöd kann man denn sein? Die eigene Hucke abzufackeln?«
    Scuzzi verschränkte die Arme vor der Brust im Versuch, Schuldbewusstsein mit Bockigkeit zu kaschieren. Dann hustete er eine Weile kehlig vor sich hin, bis ich ihn in meinen Sessel schob und ihm ein Bier aus dem Kühlschrank holte.
    »Weißt du, was das Schlimmste ist?«, fragte er ein paar lange Schlucke später. »Das Allerschlimmste?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich muss jetzt zu dir ziehen.«
    »Ach du Scheiße«, entfuhr es mir. Aus tiefster Seele und von ganzem Herzen. Denn ich konnte es drehen und wenden wie ich wollte, ich sah mich nicht mit der verfluchten Katze und Pierfrancesco Scuzzi zusammen auf 28 Quadratmetern hausen, ohne entweder die eine oder den anderen über kurz oder lang gewaltsam vom Leben zum Tod zu befördern. Doch dann erhellte sich mein Gemüt fast augenblicklich wieder. Ich musste ja gar nicht. »Pierfrancesco, mein Junge«, sagte ich väterlich, »nimm’s nicht so schwer. Ich sag dir was: Du kannst meine Bude haben, ganz für dich allein, bis du dich wieder bekrabbelt hast. Oder von mir aus, solange du willst.«
    »Ja - und was machst du in der Zeit?«
    »Ich ziehe so lange aufs Land.«
    »Aufs Land?«
    »Aufs Land.« Viel ländlicher als Duisburg-Mündelheim geht es nicht. Felder, Wiesen, Äcker, Bauern, Höfe: Land. Auch wenn Containerstapel den nördlichen Horizont wie eine buntlackierte Skyline beherrschten. »Meine einzige Bedingung: Du musst während meiner

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