Frederikes Hoellenfahrt
sie, Frederike wollte sie nicht provozieren. Die Masken waren zu allem fähig. Er meinte zu spüren, dass sie sich enger als nötig an seinen Körper schmiegte, wie um ihm zu sagen, ich kann nichts dafür, Kain, ich bin da, wir überstehen das. Kain staunte, dass ihm das half, die absurde Situation gelassener zu betrachten.
»Mit dem Rest schnallst du seinen Oberkörper fest an die Lehne!«
Frederike tat es. Fast berührten sich ihre Lippen wie bei einem Kuss. Kain senkte die Lider. Er wurde verschnürt wie ein Paket. Er schwitzte und hoffte, dass die Masken ihm nicht noch die Augen und Mund verklebten. Frederike schaute ihn entschuldigend an.
Isabell begann wieder zu schreien. Das Telefon läutete nun ununterbrochen.
»Schnauze, sonst schieß ich dich nieder!«
Es war der Kleine, der brüllte. Wie auf Kommando hörte das Klingeln des Telefons auf. Kain ließ seine Blicke durch den Raum schweifen, über das, was er sehen konnte. Der Blick zur rechten Seite war nur eingeschränkt möglich, die Säule stand im Weg. Dann sah er über die Theke, die davor liegenden Menschen entzogen sich seinem Sichtfeld. Nur Isabell sah er, die sich in die Besinnungslosigkeit schrie.
Ein unerwartetes Geräusch ließ alles verstummen. Ein Fiepen wie bei einer Granate, danach folgte die Explosion und die Melodie eines Kinderliedes. Die Masken waren in Deckung gegangen und begriffen nichts.
Frederike räusperte sich: »Mein Handy. Ich bitte vielmals um Entschuldigung.«
»Geh ran, blöde Kuh!«
Frederike wischte sich ihre Hände am Spültuch, dann drückte sie auf Empfang, lauschte. »Bruno!« Sie blickte ängstlich auf die Lippen der Maske. Die lächelten verblüffenderweise zustimmend. Nach Minuten oder Sekunden reichte Frederike stumm den Apparat weiter. »Mein Mann!« Kain wusste nicht, dass ihr Ehrlicher jemals einen Antrag gemacht hätte. Aber Frederike sagte noch einmal: »Mein Mann!«
»Der kann weder dir noch mir helfen.«
»Vielleicht doch.«
Die Maske hielt sich das Handy ans Ohr. »Ich spreche mit keiner Frau Kommissarin!« Darauf knallte er das Handy zurück auf die Theke. Frederike nahm es an sich und drückte es an ihren Busen. Isabell sprang plötzlich kreischend auf. In Panik lief sie zur Tür.
Die Maske schoss. Glas barst. Es rieselte Putz. Eine Flasche rollte auf dem Boden. Dann war es im Raum unheimlich still. Nur Brunos Stimme im Handy war überlaut: »Mein Gott! Frederike! Frederike, was ist passiert?«
23:55
Martinshörner schrillten. Rufe hallten. Polizisten und Befehlsgeber rannten. Blaulichter warfen bizarre Schatten. Die Gottschedstraße wurde nun ganz für den öffentlichen Verkehr gesperrt und Passanten der Zutritt verwehrt. Unter Protesten wurden aus den Restaurants die Gäste nach Hause geschickt. Polizeikommandos liefen durch die Häuser und baten Anwohner, ihre Wohnungen so lange nicht zu verlassen, bis Entwarnung gegeben wurde. Im Schauspielhaus richtete man ein Notquartier ein.
Im abgeschlossenen Kleinbus beriet die Einsatzleitung nächste Schritte. Bruno Ehrlicher verbot sich jeden Gedanken, welche Befehle er in dieser Situation gegeben hätte. Jetzt war er Zivilist, Rentner. Er befühlte seine Taschen. Er fand Portemonnaie und ein unbenutztes Zellstofftaschentuch, ein goldenes Zwanzigpfennigstück aus der DDR und einen Abholungsschein für die Wäscherei. Seit drei Wochen war der überfällig. Sein Handy fand er nicht. Ehrlicher trat der Schweiß auf die Stirn. Frederike und Kain. Sie brauchten seine Hilfe. Er brauchte das Handy, unbedingt, jetzt. Denn dort waren die Nummern von Frederike und Kain abgespeichert. Er musste es probieren, sie zu erreichen.
Wo war sein Handy? Tommi hatte ihm gerade ein neues geschenkt. Mit Internetzugang, den er nicht brauchte. Mit Kamera, die er nicht nutzte. Mit Spielen, für die seine Reaktionszeit nicht ausreichte. Und wenn das blöde Ding dringend nötig war, dann ließ er es zu Hause auf dem Tisch liegen. Scheiße! Über Megafon wurden Schaulustige gebeten, hinter die Absperrungen zurückzutreten. Man musste den Sicherheitsabstand noch weiträumiger fassen.
Endlich stellte Ehrlicher fest, dass er sein neues Handy doch am Mann hatte. Er wurde eben alt. Jetzt erinnerte er sich. Das Gerät war so flach, dass es in die Brusttasche seines Jacketts passte, ohne zu stören. An diesem Ort hatte er sein Handy immer dabei, bislang hatte er das Ding meistens vergessen. Selbst im Dienst. Er sah ein, dass es Situationen gab, die einen schnellen Kontakt
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