Frederikes Hoellenfahrt
werde diesen Abend nie vergessen.«
»Können Sie mir erzählen, wie es war?«
»Sie kamen rein, schossen und zwangen uns auf den Boden.«
»Sie lagen auf dem Boden?«
»Sie liegen noch alle. Wer den Kopf hebt, wird abgeknallt. So ist es der jungen Frau da drüben ergangen.« Er deutete mit schwachem Finger dorthin, wo sich noch immer die Retter um das Leben der Verletzten mühten. »Sie wollte nur raus. Wie wir alle. Sie hat ihren Mut teuer bezahlt. So ein Held war ich nie.«
»Wie viele liegen denn drüben?«
»Achtzehn? Zwanzig? Der Kellner sitzt gefesselt auf einem Stuhl.«
Kain arbeitet im Waschsalon, irgendjemand hatte erzählt, er sei Kellner. Jetzt saß er dort gefesselt am Stuhl? Diese Aussage stimmte Schabowski bedenklich: Offensichtlich wussten die Täter, dass der Kellner Polizist gewesen war. Damit schien diese Geiselnahme doch eine geplante Aktion. Die nächste Frage stellte Schabowski, weil sie, trotz allem, Ehrlicher Auskunft geben wollte: »Und die Frau hinter der Theke, was ist mit ihr?«
»Sie war die Einzige, die der jungen Frau half. Gut zugeredet hat sie ihr.« Der Mann ihr gegenüber keuchte und weinte.
»Nicht gefesselt?«
»Nein.«
Frederike und Kain lebten, das konnte sie Ehrlicher als gute Nachricht überbringen. Mehr nicht. Der Alte schob sich wieder seine wenigen Haare über die Stirn. Seine Glatze konnten die auch nicht verbergen. Der Mann war verängstigt, nervös und lächelte verkrampft. Agnes Schabowski fielen die Fragen schwer. »Warum hat man Sie mit ihr nach draußen geschickt?«
Der Alte zuckte die Schultern. »Ich hätte wirklich gern einen Tee.«
Die Kommissarin sah, wie die Sanitäter ihre Trage unter die Verletzte schoben. Dann rannten sie aus ihrem Gesichtskreis. Im Fenster der Bar daneben blinkte der Cocktail des Tages blau, rot, blau. Red Octopus: 7,50 €/Happy Hour halber Preis. Schabowski zog die Bustür ganz auf und rief: »Wo bleibt denn der Tee?« Dem alten Harfenlehrer nickte sie entschuldigend zu.
»Kathleen, Solveig und Marie liegen da drin. Sie sind so talentiert.«
»Die meisten Geiseln werden gerettet.« Ein Satz, der weder beruhigte noch der Wahrheit entsprach. Der alte Mann lächelte trotzdem. Agnes Schabowski beugte sich aus dem Bus und blickte die Straße nach links und nach rechts. »So lange kann das doch mit dem Tee gar nicht dauern. Michalk! Kollege Michalk!« Sie kannte nicht den Namen des Kollegen, den sie auch nach Tee geschickt hatte.
»Ein Weilchen halte ich es noch aus.«
Schabowski drehte sich wieder zum Zeugen. »Wie sehen die Täter denn aus? Würden Sie sie wiedererkennen?«
»Masken. Sie trugen Masken, wie sie Bankräuber tragen. Die Masken waren aus Gummi. Sie glänzten wie schwarze Glatzen. Die von dem Größren hatte rote Lippen geschminkt, ganz so wie man anno Zwanzig die Neger auf Plakaten malte.«
Die Masken hatten alle Zeugen genau so beschrieben. Die Täter vom Waschsalon und vom BARocko waren dieselben. Für die Kommissarin bestand kein Zweifel. »Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?«
»Ich lag auf dem Boden! Sie schauen doch auch nicht freiwillig in den Lauf von Pistolen.«
Vor der Tür stand der Uniformierte und hielt ihnen zwei dampfende Plastebecher entgegen. Michalk blieb verschwunden. »Der Tee. Und für Sie, Frau Chefin, habe ich mir erlaubt, einen Kaffee zu besorgen.« Er lächelte freundlich. »Den schenken sie eine Straße weiter an einem Stand aus.« Schabowski nickte dankend. Ein Verkaufsstand zwei Straßen weiter? Sie hatte dort noch keinen gesehen, aber es gab stets Menschen, die Katastrophen zum eigenen finanziellen Vorteil nutzten. Ob Markttage oder Ballonfiesta, Hunger und Durst hatten Menschen immer. Sie dachte an Karneval und Stadtmarathon, an Weihnachtsmarkt und Platzkonzert. Überall standen die Buden, früher hatten sie auch bei Hinrichtungen gut verkauft. Warum heute nicht? Agnes Schabowski konnte es den Kneipern nicht verdenken. Aber dass eine Geiselnahme zum Volksfest mutierte, bedrückte. Das Geschehen hatte nichts Heiteres, es war bitterer Ernst.
Der Uniformierte hob seine Hand an die Mütze: »Zu Befehl. Ich entferne mich wieder, bleib in der Nähe, falls Sie weitere Wünsche haben.«
Schabowski war versucht zu entgegnen: Wir sind hier nicht im Interhotel, und Sie sind kein Butler. Aber das wusste der nette Kollege ohnehin. Der Alte umklammerte den Teepott. Er nahm kleine Schlucke. Schabowski stellte den Kaffee vor sich hin, er roch wie Pulver und zu viel Wasser. »Wie heißen
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