Frederikes Hoellenfahrt
Hönig schrieb an vorderster Front. Mit seinem kritischen Journalismus hetzte er mehr, als er informierte. Der hatte wahre Freude daran, Mierschs Behörde Fehler, Nachlässigkeiten und Inkompetenz nachzuweisen. Behauptungen, die er als Direktor so nicht stehen lassen konnte, die aber bereits von der ganzen Stadt gelesen worden waren. Wie lange noch, Herr Direktor?
Miersch lächelte in die Runde. »Da offensichtlich die Kommunikationswege gestört sind, wäre ich Ihnen verbunden, wenn Sie mich über den Stand der Dinge informieren könnten.« Er sagte nicht, dass er bereits in einer Ecke gestanden und die Argumentationen verfolgt hatte. Jetzt trat er in die Mitte des Gastraums vom Suppengrün, der als provisorische Einsatzzentrale diente. Agnes Schabowski rückte einen Stuhl zurecht. Bastian Michalk nahm ihm den Mantel ab. Bruno Ehrlicher saß auch am Tisch der Kollegen. Was machte der pensionierte Hauptkommissar hier?
»Herr Direktor, wir waren im Moment dabei, Sie zu informieren. Aber bislang haben wir die Lage im Griff.« Die Stimme von Agnes Schabowski war dünn. Sie senkte die Lider, schuldbewusst, wie Miersch meinte.
»Sie haben zugesagte Siebenhundertfünfzigtausend, das sind von fünf Millionen fünfzehn Prozent. Dreihunderttausend sind bereits hier vorhanden«, Miersch wies auf einen Koffer, »das ist noch mal weniger als die Hälfte davon, wenn ich richtig verstanden habe.« Auf sein Kopfrechnen konnte sich Miersch verlassen. »Und fünf Millionen haben die Täter verlangt?«, schlussfolgerte Miersch aus den gehörten Sätzen. Die Kollegen schwiegen. Nichts hatten sie im Griff. »Bitte, die Fakten!« Der Direktor setzte sich an die Front des Konferenztisches.
Das Restaurant Suppengrün hatte für gediegene Abendmahlzeiten einen guten Ruf. Es roch auch zur Nachtzeit nach Krautroulade und Sauerkraut. Das Rauchverbot hatte man mit polizeilicher Genehmigung jetzt aufgehoben. Die Kaffeemaschine zischte.
Agnes Schabowski schaute auf ihre Notizen. »Nach Zeugenaussagen sind es zwei Täter, die etwa zwanzig Personen in ihrer Gewalt haben. Sicher scheint, oder wir gehen davon aus, dass die beiden auch für den Mord an Khalid Georgieff verantwortlich zeichnen.« Sie redete hektisch, verhedderte sich immer wieder in ihren Papieren. Miersch hatte Mitleid mit ihr. Vielleicht hatte er zu große Hoffnungen auf sie gesetzt, hatte er doch in ihr auch eine jener gesehen, die mit bestem Gewissen ihre Arbeit hier taten, aber bei Alteingesessenen auf unausrottbare Vorurteile stießen. Steht ein Wessi auf dem Hochhausdach und springt. Fliegt er nach oben oder nach unten? – Hauptsache: Er springt! Agnes Schabowski hatte ihm von alter Mutter und krankem Kind und stetem Alleinsein erzählt, Miersch hatte gesagt, es ginge ihm nicht besser in privaten Belangen. Gattin Margo hatte längst ein eigenes Zimmer bezogen. Über eine Scheidung diskutierten sie nicht.
»Fünf Millionen?«
»Fünf Millionen, ein Auto und freies Geleit.«
»Wieso, Ehrlicher, nehmen Sie eigentlich an diesen Ermittlungen teil? Sie sind pensioniert!«
Bevor Ehrlicher antworten konnte, sprang Agnes Schabowski für ihn in die Bresche. »Seine Lebensgefährtin und Kollege Kain zählen zu den Gefangenen dort im Café.« Sie wies mit ihrem Finger in diese Richtung. »Ich konnte Herrn Ehrlicher das nicht verschweigen. Ich dachte, er hätte ein Recht …«
Miersch winkte ab. »Aber warum sitzt er jetzt mit hier am Tisch? Auch andere haben den Partner, Freunde, Kinder da drin.« Miersch deutete ebenfalls auf den Waschsalon gegenüber. Er bemerkte Ehrlichers bösen Blick. Das Verhältnis zwischen ihnen war nie eng gewesen. Bruno Ehrlicher hatte ihn immer spüren lassen, dass ihm als Kriminaldirektor in Leipzig die ostdeutsche Vergangenheit und Menschenkenntnis fehlten, dass er zu wenig Rücksicht auf hiesige Werte und Tradition nahm, dass er keine Erfahrungen hatte. Ehrlicher war nicht der einzige Polizist, der Miersch so beurteilte. Deshalb war ihm Agnes Schabowski so ans Herz gewachsen. Auch sie fühlte sich im Präsidium oft als Fremdkörper. Er hatte sie gegen Widerstände zur Chefin der I. Mordkommission berufen, auf Ehrlichers Stuhl. Jetzt brauchte sie seine Hilfe. Ein schwieriger Fall.
»Ehrlicher muss dabei sein, die Kidnapper wollen nur mit ihm sprechen.« Agnes Schabowski atmete tief ein. »Am anderen Ende spricht Frederike, Ehrlichers Lebensgefährtin. Die Verhandlungen laufen sozusagen über Dritte, nicht zwischen uns und den Tätern. Von denen
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