Frederikes Hoellenfahrt
Tisch zu Tisch trug. Wenn er den Journalisten halbstündig Rede und Antwort stand, hatte er ihnen nichts zu berichten. Seine Haare wurden mit Gel in der Fasson gehalten. Er hatte zu dick aufgetragen. Am Hals liefen Tropfen. Miersch drohte den Überblick zu verlieren, in welcher Einsatzgruppe wer beteiligt war. Alle Polizisten Leipzigs schienen im Einsatz. Er legte eine Strategie fest, die sie nicht hatten. Deswegen die Konferenz. Ihm fehlten die Worte.
Andrea Dressel, Mierschs Sekretärin, schrieb Protokolle nach Tonband. Ihre Hände flogen über die Tasten. Sie hielt ihre Augen geschlossen. So könne sie sich am besten konzentrieren, erzählte sie. Miersch glaubte es ihr. Und wirklich saß Andrea Dressel in diesem Tumult wie ein Fels in der Brandung, ließ sich nicht ablenken, tippte und tippte. Auch Manuela Hohmann, Sekretärin der Mord zwo, war erschienen. Miersch sah sie ständig mit Kaffeekannen die Räume wechseln. Er lächelte sie aufmunternd an. Sie aber sah ihn nicht wirklich, lauschte mit blindem Blick den Aussagen eines Zeugen. Noch immer nicht waren alle Geiseln vernommen.
Natürlich hatten BKA und LKA ihre Spezialisten geschickt. Sie saßen am Tisch und koordinierten ihre Einsätze über andere Kanäle. Auch in den beteiligten Staaten kämpften verschiedene Behörden mit verschiedenen Kompetenzen. Neben Dorota Franke schrien noch mindestens zehn Dolmetscherinnen in Headsets. Solche Vielsprachigkeit musste in Babel nach Gottes Strafe geherrscht haben. Wohlauf, sprach der Herr, lasset uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! Miersch war bibelfest. Ministrantenjahre vergisst keiner.
Das Innenministerium Sachsen hatte sich gemeldet und Stellungnahmen verlangt. Sofort, Herr Kollege, sofort! Der Herr Ministerpräsident ist schockiert! Miersch könnt es nicht ändern, auch er war schockiert.
Das Bundesministerium in Berlin hatte Auskunft und ständige Information über den Fortgang verlangt. Wir würden um einen kurzen Bericht bitten, der die Lage einschätzt. Auch von uns fordert man Auskunft. Miersch gab Auskunft. Alle Leitungen liefen stand-by. Befehlswege und Verantwortlichkeiten erwiesen sich als belastbar. Das änderte nichts daran, dass die Geiselnahme noch immer nicht beendet werden konnte, auch wenn es die übergeordneten Stellen anwiesen. Sofort! wurde gefordert. Sofort! hatte Konstantin Miersch aus seinem Wortschatz gestrichen. Er war Kriminalist und kein Träumer.
Referate über organisierte Kriminalität waren gehalten worden. Den Einfluss der mafiosen Strukturen im Raum Leipzig hatte man diskutiert. Es ergab sich folgendes Bild der Einflussnahme: Stadtväter und Aufbauhelfer hatten Investoren nach der Wende mit Handschlag begrüßt und waren erfreut über alle vor Ort angelegten Mittel. Die marode Wirtschaft des sozialistischen Staates benötigte dringend Visionen, Finanzen und Macher. Vorderstes Ziel war, den Anstieg der Firmenpleiten und Arbeitslosigkeit zu stoppen. Keiner fragte da nach der Herkunft der hier investierten Millionen. Man war froh, Positives vermelden zu können. Der Aufschwung hat begonnen! Damit waren aber auch die Möglichkeiten für kriminelle Banden geschaffen, Geld aus Drogenhandel und Prostitution sauber anzulegen. Internationale Syndikate hatten die Claims und Schlüpflöcher schnell abgesteckt. Vietnamesische Triaden, sizilianische und russische Mafiosi, die internationalen Verbrechersyndikate etablierten ihre Strukturen unbemerkt und schnell. Man ahnte manches, eingeschritten wurde selten. Auch die Bevölkerung kannte berüchtigte Etablissements und mied sie. Bis heute.
Die Indizien sprachen dafür, dass es sich beim Mord an Khalid Georgieff um eine Abrechnung der Unterwelt handelte. Georgieff konnten Verbindungen zu Rauschgifthandel und Geldwäsche nie nachgewiesen werden, im Fokus der Ermittler hatte er jedoch immer gestanden. Wer die Türen der Diskotheken kontrollierte, kontrollierte den Verkauf der illegalen Drogen. Georgieff war zu keinem Kompromiss bereit gewesen. Er wollte seine Einflusssphären nicht anderen überlassen. Dafür hatte er die Quittung erhalten, mutmaßten die Kenner der Szene. Miersch weigerte sich noch immer, Leipzig als das Kampfgebiet international agierender Verbrechersyndikate zu beschreiben. Widerlegen konnte er die Argumente der Spezialisten nicht. Er war gezwungen, sie zu akzeptieren.
Über die Identität der Täter konnte jeder nur spekulieren. Aber alle Vermutungen wiesen in
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