Frederikes Hoellenfahrt
hell, und wie ein lichter Glockenschlag, grüßt uns die lockende Ferne. Auch die Gangster hatten sich an Frederikes Lieder gewöhnt. Deutsche Sender kannte das Radio hier sowieso nicht.
»Weißt du, wo wir abbiegen müssen? Skopje, Sofia oder Thessaloniki sagen die Schilder.«
»Kosovo.«
»Kosovo ist ein Land, keine Stadt.«
»Aber ausgeschildert muss es doch sein!«
Ausgeschildert war es nicht, wusste Kain, er hatte die Schilder gelesen. Damit hatten sie ein Problem. Kain fasste Mut. Mazedonien oder Griechenland schienen ihm vertrauenerweckender als Ziel. Es wollt ein Schneider wandern, am Montag in der Früh. Kain hatte Angst, dass die Polizei ihr Auto irgendwann verlieren würde. Begegnet ihm der Teufel, hat weder Strümpfnoch Schuh’. Dass sie mutterseelenallein irgendwo verreckten. Ohne Grab. Den Tieren preisgegeben. He, he, Schneidergesell, du musst mit mir in die Höll. Und niemand würde im Kosovo wissen, woher sie kamen, wer sie waren. Du musst uns Teufel kleiden, es gehe, wie es wöll.
Nein, Skopje, Sofia, Thessaloniki waren bekannte Namen. Vom Kosovo kannte er nur Bilder von Schlachtfeldern und bombardierten Städten. Aber sterben konnte man überall, und tot blieb tot.
Sobald der Scheider in die Höll neinkam, nahm er sein Ellenstab. Die Masken stritten sich, wo denn nun der Kosovo läge. Richtung Skopje? Richtung Sofia? Er schlug den Teufeln die Buckel voll, die Höll wohl auf und ab. Vielleicht ganz woanders. He, he, du Schneidergesell, musst wieder aus der Höll! Vor ihnen die Landschaft war gesund und grün. Menschen sahen sie keine auf den Feldern. Autos lagen am Straßenrand, die Männer reparierten selber. Frau und Kinder warteten daneben. Wir brauchen nicht das Messen, es gehe, wie es wöll. Der rote VW steuerte auf eine Tankstelle zu. Kain hatte richtig geschaut, der Tank war gleich leer. Er musste alles daran setzen, hier Frederike zu retten, hier zu entkommen.
»Wir waren doch erst tanken!« Der Kleine glaubte es nicht.
»Der Tank ist leer. Du fährst uns an Ende der Welt.«
Sie fuhren rechts raus. Er nahm den Pfriemen aus dem Sack und stach sie in die Köpf. Die Tankstelle lag verlassen, als würde sie gar nicht bedient. Nur vor den Feldern standen zwei Lastwagen mit abgedeckten Ladeflächen. Er sagt: Halt still, ich bin schon da, so setzt man bei uns Knöpf! Unter den Planen werden sie liegen! Polizei! Es ist geschafft! Aus! Ende! He, he, du Schneidergesell, geh einmal aus der Höll! Es ist vorbei! Ihr Wagen stoppte. Die Planen bewegten sich nicht. Wir brauchen keine Knöpfe, es gehe, wie es wöll! Alles oder nichts! Kain drückte die Zentralverriegelung und riss seine Tür auf.
»Frederike! Los! Raus!«
Da zog er’s Bügeleisen raus und warf’s ins Höllenfeuer. Er strich den Teufeln die Falten aus, sie schrien ungeheuer. He, he, du Schneidergesell, geh du nur aus der Höll! Wir brauchen nicht das Bügeln, es gehe, wie es wöll!
»Raus! Frederike! Raus! Jetzt!«
»Verdammt! Diese Sau!«
Die Masken hatten begriffen. Der Fahrer trat aufs Gas. Die Reifen schleuderten Steinchen. Kain lag plötzlich im Dreck. Mit quietschenden Reifen fuhr der VW vom Gelände. Die Beifahrertür blieb offen. Das Auto bog auf die krustige Straße, verschwand. Mit Frederike. Mein Gott, Frederike! Er hörte sie noch. He, he, du Schneidergesell, geh du nur aus der Höll! He, he, du Schneidergesell, geh du nur aus der Höll! Er war raus aus der Hölle. Er war draußen. Frederike saß drinnen. Kain schloss die Augen. Es war die Hölle. He, he, du Schneidergesell, geh du nur aus der Höll! Kain wusste nicht, welche der Höllen furchtbarer war.
14:30
Es herrschte gespannte Stille im Raum. Bruno Ehrlicher konnte sie spüren. Dann kam die Nachricht, auf die alle gewartet hatten. Dolmetscherin Dorota Franke sah vom Sitzplatz auf in die Reihe der Umstehenden. »Geisel befreit!«, sagte sie. Die Ermittler jubelten. Einige klatschten in die Hände. Andere gratulierten dem Kriminaldirektor. Ehrlicher hatte genau hingehört, und sogleich dämpfte Dorota Franke die Stimmung. »Eine, Kollegen, eine der Geiseln konnte befreit werden. Sie lebt!« Viele der Polizisten standen im großen Konferenzraum und freuten sich leise.
Ehrlicher konnte die Freude nicht teilen. Es war nur eine Geisel befreit, die andere blieb in der Gewalt der Gangster. Er ging davon aus, dass sie lebte. Befreien konnte man keine Leichen. »Wer! Wer lebt! Sagen Sie wer!« Ehrlicher hatte sich zum Pult durch die Reihen der Kollegen
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