Frederikes Hoellenfahrt
ausgeschildert.«
»Ach, Scheiße, ich hätte mich nicht auf den bekloppten Vorschlag einlassen sollen. Deine Schwester ist genauso behindert wie du.«
»Überleg, was du sagst!« Der schwarze Mann presste die Kanone dem Fahrer an den Kopf. »Ich schieße. Ich hab schon geschossen.«
»Arschloch. Wir hatten gesagt, keine Gewalt.«
»Aber wenn der plötzlich auftaucht … Der hätte uns verpfiffen.«
»Der hätte keinem was gesagt, hatte selber zu viel Dreck am Stecken.«
»Eben. Das hat meine Schwester auch gemeint. Ganz einfach: Safe auf, Geld raus, weg.«
»Ganz einfach: Safe auf, Geld raus, weg. Ich seh’s. Zweihundertachtzig Kilometer bis Belgrad.«
»Mensch, wir haben eine Million! Sie werden uns nicht finden. Neue Pässe, neues Outfit, nie wieder Deutschland, sondern für immer Mallorca!«
Die Afrikaner sprachen deutsch. Oder verstand sie fremde Sprachen? Frederike hörte gebannt zu. Das war ein Film! Ein Kriminalfilm! Sie guckte Kino! Belmondo und Alain Delon saßen auf der Leinwand im Zug, und sie saß daneben. Mord im Fahrpreis inbegriffen! Aber da spielten Yves Montand und Jean-Louis Trintignant die Hauptrollen. Die schwarzen Männer klauen im Zug, deswegen war ihr Koffer verschwunden. Eine Allianz für Knete wie im Polizeiruf 110. Wie hatte sie das verwechseln können! Jürgen Frohriep und Peter Borgelt, nicht Belmondo und Montand! So ein Quatsch. Warum sollten die auch mit ihr in einem Zug sitzen. Montand war tot und Belmondo noch einmal Vater geworden.
Der Zug raste ohne Zwischenhalt. Zweihundertachtzig Kilometer bis Belgrad. Die Schwalbe fliegt über den Eriesee, Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee. Von Detroit fliegt sie nach Buffalo – Die Herzen aber sind frei und froh, Und die Passagiere mit Kindern und Fraun Im Dämmerlicht schon das Ufer schaun. Und plaudernd an John Maynard heran tritt alles: Wie weit noch, Steuermann? Der schaut nach vorn und schaut in die Rund: Noch dreißig Minuten … Halbe Stund. Vergisst man nicht, den John Maynard, nein, vergisst man nicht. Frederike hatte immer gern und gut rezitiert. Herr Böhme gab ihr immer darauf eine Eins. Vati war stolz, wenn sie ihm die Zensuren zeigte. Prost, Onkel Albert!
Jetzt saß der Kain mit ihr in der Klasse. Der war viel jünger. War sie sitzengeblieben? Quatsch! Ferienlager! Da fuhren doch alle zusammen nach Afrika. Klassenstufe eins bis sieben. Fröhlich sein und singen, stolz das blaue Halstuch tragen, andern Freude bringen, ja, das lieben wir … Sie würden wieder zum Morgensport pfeifen. Wie sie das hasste, das frühe Aufstehen! Aber in Afrika war es Morgen hoffentlich nicht so kalt. Dort schien immer die Sonne. Sie war noch niemals dort gewesen.
»Ich schlafe gleich ein«, sagte der Mann hinterm Lenkrad. Der Schwarze neben ihr reichte ihm eine Wodka-Flasche.
Mensch, trinken war niemals am Steuer gestattet! Der Bußgeldkatalog sah erhebliche Strafen vor. Sie hatten sie grade erhöht. Frederike hatte die Zahlen im Kopf, falls ihre Gäste kein Taxi nach Haus nehmen wollten. Die meisten hatten ihr dann den Schlüssel übergeben. Jetzt saß sie in einem Auto mit einem Fahrer, der trank. »Das kann Ihnen die Fahrerlaubnis kosten!« Sie musste es ihm sagen. »Geld oder Freiheitsstrafe stehn drauf.«
»Das kann bei mir keiner mehr zählen, was draufsteht!«
Kain blickte sie an, schüttelte seinen Kopf und hielt ihr schon wieder seine Hand unter die Augen. Flieh, wenn du kannst! Ein Geländespiel. Räuber und Gendarm. Und Kain war bei der Polizei. Sie würden gewinnen. Eine Million war zu gewinnen. Sie würden diesen Jackpott knacken und dann nach Afrika fahren.
Der Zug bremste. Frederike stieß sich den Kopf. Einen Zahn hatte sie schon verloren. Verdammt, warum schnallte man sich in Zügen nicht an?
»Straßensperre!«
»Verdammt, fahr! Oder ich knalle sie ab!« Vor ihr saß wirklich Belmondo, der Schwarm ihrer Jugend. Der Zug nahm wieder Fahrt auf. Ein herrlicher Film! Was für ein herrlicher Film! Frederike musste lachen und lachte, lachte.
13:20
Ehrlicher war deprimiert. Seiner Kollegin ging’s ähnlich.
»Nichts.« Sie atmete geräuschvoll aus. »Nichts. Lippi kann sich nur auf die Lippe und diesen Pickel beziehen.«
»Vielleicht haben wir nur einen Denkfehler und übersehen ganz Naheliegendes.«
»Ach, Scheiße!«
Ehrlicher konnte den Unmut von Agnes Schabowski verstehen. Seit Stunden suchten sie im Archiv, in Registern und Adressdateien. Nichts. So nah die Vermutung lag, mit einem
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