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Frederikes Hoellenfahrt

Frederikes Hoellenfahrt

Titel: Frederikes Hoellenfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henner Kotte
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sah er einen Vogelzug. Die Wolken ließen sich als Australien interpretieren. Agnes Schabowski schien ihm mit einem Mal sehr zerbrechlich.
    »Ich habe ihn im letzten halben Jahr nur einmal besucht.« Pause. »Ich bin keine Mutter.« Pause. »Und der Vater war eine Urlaubsbekanntschaft.« Schluchzen.
    Was wollte Ehrlicher darauf erwidern? Agnes Schabowski quälten die Selbstzweifel. Ihn quälte die Angst. Frederike und Kain! Frederike, er musste sie retten. Er musste Kain retten. Sonst fuhren sie in den Tod. Warum lief er mit Agnes Schabowski durch einen Park voller Menschen? Frederike musste er retten! Nicht die Frau Kommissarin, die mit ihrem Leben nicht klarkam.
    Doch einen Kaffee hatte er nötig. Es war purer Stress. Ehrlicher hatte Miersch jede Viertelstunde nach dem Stand der Dinge gefragt. Telefonisch oder er stand in der Tür der Sonderkommission. Der Kriminaldirektor hatte genervt reagiert. Was wollen Sie noch? Sie sind im Team! Wir haben zu tun. Im Hintergrund hörte Ehrlicher das Klingeln der Telefone und die Gespräche der Einsatzleitung. Miersch hatte recht. Auch Ehrlicher hätte sich im Job jede Einmischung eines Fremden verbeten. Aber konnte er wirklich nichts tun, um Frederike zu retten? Frederike und Kain! Und jetzt schluchzte an seiner Seite Agnes Schabowski. Mein Sohn heißt Paul. Er ist behindert. Ehrlicher hatte wirklich andere Sorgen.
    »Paul ist nicht bei Ihnen zu Hause?«
    »Er ist in einem Heim bei Bietigheim-Bissingen. Er fehlt mir. Er fehlt mir sehr.«
    »Dann holen Sie ihn nach Leipzig. Ein Heim wird sich finden.«
    Agnes Schabowski blieb stehen und weinte an seiner Schulter. Er musste Frederike retten! Er kannte keinen Paul!
    Ein kleiner Junge mit Roller blieb vor ihnen stehen und schaute sie an mit ganz großen Augen. »Warum weint deine Frau? Du musst sie küssen.«
    »Philip, komm sofort her! So was macht man nicht!«, schrie die Mutter von weit hinten und entschuldigte sich bei ihnen. Alle Spaziergänger sahen sich zu ihnen um.
    Philip rollte weiter. Die Mutter lächelte um Vergebung und rief ihrem Sohn hinterher: »Philip, nicht so weit weg sollst du fahren.« Der Junge blieb stehen.
    Agnes Schabowski verbiss sich jeden weiteren Schluchzer und wischte die Tränen. »Danke, Philip, du hast mir geholfen«, sagte sie ihm. Das Kind drehte sich um und winkte ihnen zu, dann nahm Philip wieder Fahrt auf. Die Mutter zuckte die Schultern und gab auf.
    Agnes Schabowski blickte Ehrlicher an. »Vielleicht kommt Lippi von Philip?«

13:40
     
    »Nichts! Nichts! Sie sind nicht zu stoppen!«
    »Vor allem, wir können hier nichts tun, als zuzugucken und zu warten.«
    »Das geht nicht gut aus. Ich hab’s im Urin.« Der Scherz brachte niemanden zum Lachen.
    Die Kollegen waren entmutigt und redeten wild durcheinander. Miersch wusste nicht, warum er schon wieder eine Beratung einberufen hatte. Vielleicht, um Aktivität zu zeigen, um zu beweisen, dass sie etwas taten. Denn es gab seit Stunden nichts wirklich Neues zu vermelden. Und das, was Miersch mitteilen konnte, deprimierte. Zehn Stunden dauerte diese Hatz nun schon an, und ihr Ende war nicht in Sicht. Sie schauten zu, wie die Kidnapper jedes Hindernis nahmen. Die hatten getankt. Die hatten auf einen Passanten geschossen. Tot. Man würde die Schuldigen für diesen Toten auch in den Reihen der Polizei suchen, Deutschland und Miersch eingeschlossen. Die Gangster hatten die Grenzenbarrieren durchbrochen, als wären es Kulissen. Sie hatten die Straßensperren umfahren, als drehten sie einen Film. Sie rasten weiter und hatten zwei Geiseln. Sie fuhren. Novi Sad. Belgrad. Kragujevac. Keiner wusste, wo und wie die Fahrt enden würde.
    »Ich sag’s euch, das geht nicht gut aus«, meinte es der Witzbold jetzt ernst.
    »Wir wissen, du kannst aus deiner Pisse die Zukunft deuten.« Nicht mal vereinzelte Lacher waren zu hören.
    Miersch blickte in die Gesichter seiner Leute. Die Augen lagen Bastian Michalk tief in den Höhlen. Diese Falten hatte er am jungen Kollegen noch gar nicht bemerkt. Der Schlips saß schief. Die obersten vier Knöpfe seines Hemdes waren geöffnet. Kein Unterhemd, Brusthaar. Dorota Frankes Haare hingen wie ein geschlossener Vorhang vor ihrem Gesicht, so oft sie sie auch nach hinten strich. Sie quälte ein Schnupfen, sie sprühte sich aller Minuten Spray in die Nase. Sie beherrschte und dolmetschte drei Sprachen. Dominic Bleicher ordnete ständig seine Papiere. Er verlor mehrmals die Blätter, als er Stöße von Notizen und Mitteilungen von

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