Frederikes Hoellenfahrt
sie, in den Kosovo wollten sie ihn bringen. Dort sorgten deutsche Truppen für Sicherheit. Kain hatte sich ein Land aus Ruinen, Trümmerfeldern, Leichenbergen vorgestellt.
Es sah ganz anders aus. Friedvoll. Ruhig. Unten schwenkten sie Fahnen.
Kain erinnerte sich an seine Flucht. Es hatten wirklich Polizisten unter den Planen gesessen. Sie waren bereit, hatten damit gerechnet, dass der rote VW dort hielt, um zu tanken. Kain hatte ihre Pläne durcheinander geworfen. Er hatte auf eigene Faust gehandelt und die Katastrophe heraufbeschworen. Er hätte warten müssen, bis Frederike aus dem Auto war. Los! Frederike! Hau ab! Er hatte seine Tür schon geöffnet. Als der Wagen davonfuhr, fand er sich im Dreck liegend wieder. Jetzt war Frederike mit zwei Amokläufern allein, die zu allem fähig waren. Warum hatte er den Kollegen nicht vertraut? Sie hatten unter den Planen der Lkws gelegen. Sie hatten einen Plan gehabt. Sie hätten geholfen. Er hätte abwarten müssen. Nur einen Augenblick. Jetzt war es zu spät.
Kain stöhnte aus Verzweiflung. Die Fahrt hatte die denkbar schlimmste Wendung genommen. Er, der Polizist, hatte versagt. Frederike, die immer und jedem stets half, sie war den beiden Gangstern schutzlos ausgeliefert. Er war gerettet. Verdammte Scheiße! Es würgte.
Als sie ihn im Dreck liegen sahen, waren die Polizisten sofort von den Lkws gesprungen. Aber das Fluchtauto war mit offener Tür weitergefahren. Die Gangster waren geflohen. Seine Schuld. Die Polizisten richteten erst einmal die Waffen auf ihn. Er hatte die Hände gehoben. Ich bin eine der Geiseln! Es war vorbei.
Kain wollte raus aus seinen Klamotten, er bat um neue Kleidung. Die an seinem Leibe stank widerlich nach Pisse und Schweiß. Die Polizisten führten ihn zu einem Kleinbus. Dort nötigte ihn ein Offizier in die Sitze.
»Wissen Sie, wohin Gangster wollen?«
Kain schüttelte nur mit dem Kopf. »Sie sprachen vom Kosovo.«
»Kosovo ist weit. Wollen sie zu Familie?«
»Die Kidnapper sprachen gut deutsch.«
»Nun, viele in Deutschland arbeiten und nur im Urlaub in Kosovo zu Hause.«
Es waren die Fragen, die jeder Ermittler in diesem Fall stellen musste. Kain hatte sich selber darüber den Kopf zerbrochen. Wer waren die Täter? Warum flüchteten sie durch halb Europa? »Ich habe keinen Akzent gehört. Sie haben nicht viel geredet.«
»Also in Kosovo sie wollen, nicht Mazedonien, Griechenland oder weiter?«
Kain hatte nichts anderes gehört. »Vom Kosovo haben sie immer wieder gesprochen.«
Der Polizeioffizier blickte über Kain hinweg in die Runde und gab seine Befehle. Manchmal glaubte Kain, Worte verstehen zu können: Kosovo. Autoput. Benzina. Aber sein Russischunterricht lag Jahrzehnte zurück, und hier wurde nicht Russisch gesprochen. Wahrscheinlich planten die Polizisten an der nächsten Tankstelle den nächsten Einsatz, der den Wagen zu stoppen versuchte. Denn Kraftstoff brauchten die Täter, wenn die Flucht nicht vor ihrem Ziel zu Ende sein sollte. Was aber war ihr Ziel?
Die Polizisten hatten ihm vorsichtig die Fragen gestellt und waren um seine Gesundheit besorgt. Sie hatten ihm Tee und belegte Wurstbrote gegeben. Kain hatte seit Stunden nichts mehr gegessen, die Salami kam ihm wieder hoch. Er schob die Bustür auf und übergab sich.
Dann wurde mit Leipzig telefoniert. Ihm übergaben sie den Hörer nicht. Ein Arzt hatte ihn in Obhut genommen und gab ihm eine Spritze. Kain musste eingeschlafen sein. Er wachte in einem Bett auf, das in einem Krankenwagen stand.
»Sie werden in deitsches Krankenhaus transportiert.« Der Arzt lächelte freundlich. »Dort besser Behandlung und viel Spezialisten. Wir hier nicht kennen.«
Kain nickte und hatte gar nichts begriffen. Deutsches Krankenhaus? Brachten sie ihn nach Leipzig? Nein. Jetzt saß er in einem Hubschrauber und sah fremdes Land unter sich, fremde Städte und grüne Wälder. Sie brachten ihn ins Lager der Kfor. Dort sprachen sie deutsch. Er wollte nur schlafen. Er war draußen. Frederike nicht. Tot. Aus.
16:20
»Ich warte!«
»Aber Sie müssen nicht hier warten, Herr Ehrlicher. Wenn es was Neues gibt, sage ich Ihnen als Erstem Bescheid. Versprochen.«
Ehrlicher blickte auf, als wäre er verletzt. »Ich kann nicht nach Hause. Nicht, bis ich weiß, was mit Frederike passiert ist.« Er saß zusammengesunken auf einer der Zeugenbänke im Gang des Polizeipräsidiums und schaute zu Kriminaldirektor Konstantin Miersch auf. Schabowski schien es, als sei er in Stunden um Jahre
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