FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
überlege einmal: Weder unsere Männer noch die Pferde können von Luft leben. Wenn sie hungrig sind, brauchen sie etwas zum Essen. Schau dich doch um: Alles, was sie haben, Waffen und Kleidung, ist verbraucht, verschlissen und zerbrochen. Um sich Neues zu kaufen, brauchen die Männer Geld, und wenn niemand da ist, der es ihnen gibt, nehmen sie es, wo sie es finden. Beutemachen ist eben Kriegsbrauch.«
Er räusperte sich und fuhr dann fort: »Man kann die Männer dann nicht mehr zügeln und kontrollieren. Sie rauben und raffen, und dabei schonen sie keinen Menschen, egal, welchen Glauben oder Stand er hat. – Glaub mir, Junge, ist jemand in Not, und hat er keine Strafe für seine Schandtaten zu befürchten, wird er leicht zum Raubtier, ganz gleich, welcher Religion oder Kirche er angehört.«
Als Georg Ackermann ihn nur ungläubig anstarrte, fügte der Heerführer noch hinzu: »Schau dir doch einmal an, was Tillys Männer neulich in Heidelberg angerichtet haben: Drei Tage lang Massakrieren, Plündern und Foltern, um an Geld zu kommen. Man hat die Menschen geprügelt, aufgehängt, die Glieder ausgerenkt oder die Fußsohlen verbrannt, damit sie verraten, wo sie ihr Geld versteckt haben, und ihre Frauen und jungen Mädchen wurden gnadenlos geschändet. Und das alles im Namen Gottes. – Nein, nein, die Katholischen sind nicht besser als wir. Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin von meinem Vater streng katholisch erzogen worden. Der Mensch ist eben des Menschen Wolf.«
»Herr, ich möchte nicht ungehörig sein, aber darf ich Sie noch etwas fragen?«
»Eine Frage sei dir noch erlaubt.«
»Sie sind katholisch erzogen worden, und auch Ihre Verwandten sind alle Katholiken. Außerdem haben Sie sich in den Türkenkriegen unter der Flagge der Habsburger einen Namen gemacht. Warum sind Sie dann zu den Protestanten gewechselt?«
Obwohl sich diese Frage für einen Soldaten nicht gehörte, gefiel dem Graf, was Georg Ackermann über ihn gesagt hatte. Deshalb blickte er ihn nicht unfreundlich an.
»Was weißt du vom Krieg mit den Türken?«
»Mein Vater hat's mir erzählt.«
»Soso, dein Vater. Weiß dein Vater auch, was der Kaiser seinen Feldherrn zahlt? Einen Hungerlohn! Jede seiner Mätressen beschenkt er reichlicher. Doch wer sein Blut für ihn vergießt, den tritt er mit Füßen.«
Nach diesen Worten hatte Ernst von Mansfeld ihm noch einmal zugenickt und war gegangen.
Nun raubt er im Namen Gottes die Evangelischen aus, dachte Georg Ackermann halblaut, während er der schlanken Gestalt hinterher schaute, tötet unschuldige Männer und Frauen, nimmt ihnen ihr Hab und Gut und überlässt sie dem Hungertod, und das alles mit dem Segen der protestantischen Fürsten!
Er ballte seine Fäuste und biss die Zähne zusammen, um dem Feldherrn nicht seinen Hass hinterher zu schreien. Das würde ihn nur den Kopf kosten. Er musste sich beherrschen, bis der Tag der Rache anbrach.
Doch es sollte anders kommen. Sie campierten südlich von Worms am Rheinufer, als Graf von Mansfeld die Order ausgab, am nächsten Tag in Richtung Kaiserslautern zu marschieren.
Georg Ackermann dachte angestrengt nach. Je weiter sie in die Pfalz hineinzogen, desto schwerer würde er fliehen können. Über den Rhein konnte er schneller entkommen als durch nächtliche Gewaltmärsche. Er musste sich also entscheiden: Flucht oder Rache.
Nach kurzem innerem Ringen entschloss er sich zu fliehen. Was nützte es ihm auch, wenn er den zwei Söldnern, die seine Eltern niedergestochen hatten, nachts die Kehle durchschnitt? Dadurch würden Vater und Mutter nicht wieder lebendig. Wahrscheinlich würde man ihn dabei fassen und gleich am nächsten Baum aufknüpfen. Was hatte er dann davon? Die beiden Mörder würden sowieso in einer der kommenden Schlachten fallen. Warum da ihrem Schicksal vorgreifen? Und an Graf von Mansfeld kam er überhaupt nicht ran, weil er ständig von vier Trabanten bewacht wurde. Hatte nicht außerdem sein Vater manchmal das Bibelwort zitiert: »Mein ist die Rache, spricht der Herr!«?
Ja, seine Eltern waren fromme Kirchgänger gewesen. Jeden Abend hatte sein Vater aus der in Leder gebundenen Lutherbibel vorgelesen. Er erinnerte sich gerne an diese Zeit der Besinnung; an seinen ergrauten Vater, der sich ein wenig kurzsichtig über die Bibel beugte und mit dem Finger über die Zeilen fuhr, während er die Worte der Propheten und Apostel las; an seine Mutter, die andächtig ihre Hände gefaltet hatte; an den Geruch des Leders und an das
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