freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
machte das Ganze noch suspekter: Das war gewöhnlich die Formel,
mit der man einer am Reißbrett entworfenen Lösung eine gewisse Glaubwürdigkeit zu verleihen suchte. Und auch das ausgeklügelte
und riskante Vorgehen der möglichen Täter paßte nicht zu den Gepflogenheiten der Schutzgeldbanden: Dort schlug man knallhart
zu, ohne falsche |282| Spuren zu legen. Im Gegenteil, in dem Milieu war man darauf bedacht, daß jeder wußte, was lief und mit wem er sich anlegte.
Wenn sie Ferretti hätten umbringen wollen, hätten sie ihn auf offener Straße abgeknallt, ohne lange zu fackeln.
Das einzige, was ihn wirklich wurmte und ihm Sorgen bereitete, war die Tatsache, daß die Carabinieri die Brasilianerin aufgespürt
hatten: Dafür mußte er sich an die eigene Nase fassen, er hatte diese wichtige Spur nicht mit der nötigen Konsequenz verfolgt,
hatte sich damit begnügt, Saggese einmal zu vernehmen, danach hatte er die Sache einfach auf sich beruhen lassen, und bestimmt
nicht aus Zeitmangel. Er dachte an die Stunden, die er mit Sofia Lanni verbracht hatte, und sein Magen schnürte sich zusammen,
nicht so sehr aus schlechtem Gewissen als vielmehr aus Sehnsucht, dem sehnsüchtigen Wunsch, dieser Tag möge schnell zu Ende
gehen, damit er sich wieder neben ihr im Bett ausstrecken konnte.
Er stand auf, um zur Staatsanwaltschaft zu gehen, doch dann dachte er, daß er dort besser nicht mit leeren Händen vorstellig
wurde. Er mußte vorher etwas mehr herausbekommen, mußte versuchen, sich mit einem schnellen Gegenzug aus dieser Zwickmühle
zu befreien. Er wollte schon Baffigo anrufen, doch dann fiel ihm ein, daß dieser im Krankenhaus war. Er versuchte es unter
der Nummer eines Reporters, den er in der Klinik getroffen hatte, und dieser bestätigte, daß Baffigo noch auf der Intensivstation
liege, aber vermutlich noch am selben Tag aus dem Koma geholt werde. Was die Verhaftung Saggeses anging, schäumte der Journalist
vor Wut, weil die Konkurrenz das Rennen gemacht hatte. Die anderen hätten die Information unter Garantie im voraus bekommen,
meinte er, denn die Verhaftung habe mitten in der Nacht stattgefunden, nach Redaktionsschluß. |283| Somit sei klar, daß das Blatt vorher von den Carabinieri einen Tip bekommen und die Druckmaschinen unter Dampf gelassen habe.
Dall’Olio, der Autor des Artikels, arbeite im Sportressort, er sei einer der Intimfreunde Rebuffos, einer der Halbzeit-Telefonisten,
die den Schiedsrichtern steckten, mit welchen Entscheidungen sie richtig oder falsch gelegen hatten. Der hätte einen solchen
Text niemals ohne den Segen des Bosses geschrieben, am wahrscheinlichsten sei sogar, daß er ihn auf dessen direkte Anweisung
hin verfaßt habe. Aber so verhaßt er auch in der Branche war, blöd sei Dall’Olio nicht, und wenn er sich so weit aus dem Fenster
lehne, dann müsse er wohl – ebenso wie die Carabinieri – etwas Konkretes in der Hand haben.
Marco Luciani verabschiedete sich von dem Reporter, war wieder drauf und dran, zur Staatsanwaltschaft zu laufen, aber wieder
dachte er, daß er vorher besser noch ein Telefonat führen sollte: Diesmal mit Carabinieri-Oberst Lo Bianco. Nach all den Jahren
der Rivalität kannten sie sich gut, es verband sie eine aufrichtige gegenseitige Abneigung, die sie mit geheuchelter Kameradschaft
und Duzen überspielten. Sie ließen keine Gelegenheit aus, dem anderen einen Schlag unter die Gürtellinie zu verpassen, und
versuchten stets als erster die Fälle zu lösen, die eigentlich in den Kompetenzbereich des anderen fielen.
Der Telefonist ließ Luciani einige Minuten warten und tat, als könne er Lo Bianco nicht finden. Schließlich brüllte der Kommissar
derart unsägliche Kraftausdrücke in den Hörer, daß er wenige Sekunden später die Stimme des Obersts, in ihrem nervtötenden
sizilianischen Singsang, an der Strippe hatte.
»Lo Bianco am Apparat.«
»Ach, hast du dich dazu herabgelassen, ans Telefon zu gehen … Marco Luciani hier.«
|284| »Kommissar Luciani. Ist uns eine Laus über die Leber gelaufen? Hat eine schlechte Nachricht auf den Magen geschlagen?«
»Hör mal zu, Lo Bianco. Ich weiß nicht, was du dir davon versprichst. Aber diesmal hast du es übertrieben.«
»Ich hätte übertrieben? Und was trug sich seinerzeit mit dir und dem Fall Piras zu? Als du mir von eurem Zeugen kein Sterbenswort
anvertrautest?«
»Schnee von gestern. Wir haben vor dem Oberstaatsanwalt einen Pakt geschlossen.
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