freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
umgebracht hat. Und selbst wenn es so wäre – er wäre nicht
der erste Mann, der meinetwegen stirbt, und vielleicht auch nicht der letzte.«
Der Kommissar sah sie überrascht an.
Sie trocknete die Augen und zog eine getönte Brille aus der Handtasche. Sie trank das Wasser, das man ihr mit dem Kaffee gebracht
hatte. »Der erste war ein Schulkamerad von mir. Er vergewaltigte mich, als ich dreizehn war, in Brasilien. Mein älterer Bruder
ging zu ihm, brachte ihn um, dann kehrte er nach Hause zurück und vergewaltigte mich ebenfalls. Ich hatte sechs Brüder, Herr
Kommissar, und wenige Tage später ergriff ich die Flucht. Für meine Mutter war das eine Erleichterung, ein Schnabel weniger
zu stopfen. An meinen Vater kann ich mich gar nicht erinnern, er verließ uns, als ich drei war. Ich fing an, bei den Reichen
in Stellung zu gehen. Auch da war es nicht einfach, denn mit vierzehn war ich körperlich schon voll entwickelt. Meine Naivität
war ich schnell los, ich wurde hart, um zu überleben. Mit |328| achtzehn ließ ich mich von einem Touristen heiraten und kam nach Italien. Jetzt bin ich neunundzwanzig, auch wenn ich mich
ein wenig jünger mache. Ich lebe in einer Wohnung, von der die meisten Italiener nur träumen können, ich spreche besser Italienisch
als ihr, ich habe mein Geld in nicht allzu riskanten Aktien angelegt, und bevor ich fünfunddreißig bin, suche ich mir einen
reichen Mann, einen, der richtig reich ist und sehr alt. Dann habe ich für alle Zeiten ausgesorgt.«
Eine hübsche Geschichte, dachte der Kommissar, während er an seinem Lemonsoda nippte. Hübsch und genau auf ihn zugeschnitten,
ideal, um sein Mitleid zu wecken, seinen Gerechtigkeitssinn und seinen Beschützerinstinkt anzustacheln. Vermutlich hatte sie
noch andere auf Lager, die genauso perfekt zugeschnitten waren, je nachdem, mit was für einem Mann sie sprach. Sie konnte
als Model auftreten, das mit einigen ausgesuchten Kunden ihr Einkommen aufbesserte, oder als gelangweilte Studentin, oder
vielleicht als Darstellerin einer Telenovela, die von skrupellosen Produzenten nach Italien gelockt worden war und jetzt ohne
Engagement dastand.
»Ferretti hat sich umgebracht, weil Sie ihn betrogen haben.«
»Ich habe ihn nicht betrogen. Tullios Geld habe ich wirklich nach Brasilien geschickt, an meine Schwestern. Die werden tatsächlich
an einem schönen Plätzchen am Meer eine Posada aufmachen, und vielleicht werde ich auch manchmal hinfahren und dort die Ferien
verbringen, wer weiß, ich werde mich in die Sonne legen und keinen Finger rühren. Sie haben mehr als ich gelitten und verdienen,
daß das Leben ihnen etwas Gutes tut. Tullio hatte nichts verdient, er war ein korrupter Schiedsrichter, ein unaufrichtiger
Mann, der seine Frau mit einer wie mir betrog.«
Sie machte eine Pause. »Und dann braucht man euch |329| Männer gar nicht zu betrügen. Das besorgt ihr schon selbst. Ihr seht Dinge in uns, die nicht existieren. Er ging mit mir und
zahlte dafür, er hatte eine Nutte vor sich, sah aber seine zukünftige Ehefrau, die Mutter seiner zukünftigen Kinder in mir.
Habe ich ihm etwas vorgemacht, oder hat er das selbst getan?«
»Sie haben bei ihm durchblicken lassen …«
»Ohh, das reicht. Ich sagte es bereits: Es gehört zum Spiel, daß man etwas durchblicken läßt. Und Tullio war nicht naiv. Auch
er sagte immer, er wolle mit dem Pfeifen aufhören, er wolle sich nicht länger korrumpieren lassen, aber am Ende steckte er
drin im System. Wissen Sie, was er mir als letztes gesagt hat? Die letzte Nachricht, die er mir schickte, als er merkte, daß
ich nicht aufhören würde, meinen Job zu machen, und daß ich ihm das Geld nicht zurückzahlen würde? Er schickte mir eine SMS:
›Wer als Hure geboren wird, stirbt als Hure.‹ Ich dachte, er meinte mich, aber nachdem er sich umgebracht hatte, verstand
ich, daß er es auch auf sich selbst bezog.«
»Und wann hat er Ihnen diese SMS geschickt?«
»Am Tag, an dem er starb. Ich habe sie noch hier. Ich zeige sie Ihnen, wenn Sie wollen.« Sie zog eine SIM-Card aus ihrer Brieftasche.
»Das ist die, auf der mich Tullio anrief und auf der auch Sie sich gemeldet haben.« Dem Kommissar wurde klar, daß sie die
Karte ersetzt hatte, damit man sie nicht aufspüren konnte, und daß sie deshalb auch das Handy ausgetauscht hatte. Sie war
schlau genug, um einen Schritt schneller als die Polizei zu sein, und noch schlauer war, daß sie nicht Beweise
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