freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
in sein Notizbuch: Ehefrau noch einmal vernehmen, und unterstrich es mehrfach.
Dann schob er den Stuhl zurück, bis er mit dem Rücken an die Wand stieß. Er starrte an die Decke und kaute auf der Kappe des
Füllfederhalters herum.
Als er wieder auf die Uhr sah, war es fast Mitternacht. Obwohl er todmüde war, hatte er keine Lust, schlafen zu gehen. Sein
Hirn würde sowieso keine Ruhe geben, würde Hypothesen aufstellen und wieder verwerfen. Plötzlich fiel ihm ein, daß es doch
noch etwas gab, was er um diese Uhrzeit tun konnte. Er rief das Lokalblatt an und verlangte |64| Sandro Baffigo, einen Sportreporter, der mit ihm auf die Schule gegangen und kurz nach Luciani nach Genua gezogen war. Der
einzige Journalist in der Stadt, der sich in all den Jahren nicht bei ihm eingeschleimt hatte, um Gefälligkeiten oder Informationen
herauszukitzeln. Wenn sie sich einmal begegnet waren, hatte er die Sprache nie auf die Arbeit gebracht, und nicht einmal jetzt,
bei einem Fall, der sowohl das Ressort Sport als auch Zeitgeschehen betraf, war Baffigo auf die Idee gekommen, einen heißen
Draht zu ihm zu installieren.
»Hallo?«
»Hallo Baffo, hier ist Marco.«
»Was für ein Marco?«
»Der Polizist Marco.«
»Marco! Der ruhmreiche Kommissar Luciani. Wie ist es nur möglich, daß ich deine Stimme nicht sofort erkannt habe? Noch dazu,
wo du der einzige Mensch bist, der mich nach wie vor Baffo nennt.«
»Bist du noch am Arbeiten?«
»Nein, ich bin fertig. Ich hänge hier nur noch ein bißchen mit den Kollegen rum. Was gibt’s?«
»Ich bräuchte deine Hilfe, ist jetzt ein bißchen kompliziert zu erklären.«
»Es geht doch nicht um Ferretti?«
»Genau um den. Kann ich vorbeikommen und dich abholen?«
»Sapperlot. Die ganze Journaille Italiens ist hinter dir her, da müßte ich bekloppt sein, wenn ich dir einen Korb gäbe. Ich
warte hier auf dich.«
Der Kommissar mochte diese Aufrichtigkeit. Zwei einsame Junggesellen, die sich bis spätabends in der Arbeit vergruben und
die keinen Hehl daraus machten, daß sie sich gegenseitig helfen konnten. Sie waren auf einer Wellenlänge, das spürte Luciani.
|65| Mittwoch
Er kam im Morgengrauen nach Hause. Todmüde, aber zufrieden; was er diese Nacht in Erfahrung gebracht hatte, lichtete wie warme
Sonnenstrahlen den Nebel in seinem Kopf. Luciani fand zwar deprimierend, daß Baffigo anscheinend nicht mit seinem Alkoholproblem
fertig wurde, sondern im Gegenteil mehr denn je an der Flasche hing, doch dafür hatte er ihm wertvolle Hinweise geliefert.
Der Kommissar mußte jetzt entscheiden, wann und wie er diese bei den Vernehmungen taktisch klug plazieren konnte. Die wichtigste
von Baffigos zahlreichen Enthüllungen war sicher folgende: Unter den Schiedsrichtern herrschte die Unsitte, während der Halbzeitpause
in der Umkleide zu telefonieren. Sie ließen sich dann von Journalisten ihres Vertrauens oder gar von Clubmanagern anrufen
und erzählen, wie die erste Halbzeit gelaufen war, ob sie in den entscheidenden Situationen richtig oder falsch gepfiffen
hatten. Und nach Spielende taten sie, ehe sie den Spielberichtsbogen ausfüllten, dasselbe noch einmal. So konnten sie sichergehen,
daß sie zu Platzverweisen und Verwarnungen keine Fehleinschätzungen fixierten. Man hatte versucht, diese Unsitte abzustellen,
aber am Widerstand der mächtigen Clubs waren alle Gegenmaßnahmen – Handys zu verbieten oder die Umkleiden abzuschirmen – gescheitert.
Laut Baffigo gehörte Ferretti zu den »Telefonierern«, und er hielt es für ausgeschlossen, daß der Schiri ausgerechnet bei
einem so wichtigen, für den Titelkampf entscheidenden Spiel sein Handy nicht dabeigehabt hatte. Nach Baffigo hieß das: jemand
hatte das Handy mitgenommen, den Akku entfernt |66| und das Telefon in den nächstbesten Mülleimer geworfen, wohl wissend, daß es teuflisch riskant war, es mit sich herumzutragen.
Und dieser Jemand konnte nur der Mörder sein, ein Killer, den man geschickt hatte, um einem unbequem gewordenen Komplizen
den Mund zu stopfen. »Ferretti war ein korrupter Ehrgeizling, der den mächtigen Clubs stets zu Diensten war, besser gesagt:
einem mächtigen Club, dem von Rebuffo. Sie haben ihn benutzt, solange es für sie von Vorteil war, und dann muß irgend etwas
vorgefallen sein, vielleicht ein Erpressungsversuch, was weiß ich, und da haben sie ihn ausgeschaltet.«
Marco Luciani hatte gegrinst. Journalisten jagten gern irgendwelchen Hypothesen nach,
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