freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
irgendwann ein anderer die Ermittlungen
übernehmen sollte. Danach stellte er die Erkenntnisse der ersten Arbeitstage zusammen, einschließlich der aussagekräftigsten
Ergebnisse von Autopsie und Kriminaltechnik. Das waren noch inoffizielle Indizien, denn wie immer hatten die Gutachter sich
die längste Frist, will sagen sechzig Tage (und damit den höchsten Tarif), für die Analysen ausbedungen. Aber wenn es pressierte,
hatten sie die wichtigsten Ergebnisse in Wahrheit schon nach wenigen Stunden.
»Der Schiedsrichter ist nicht an Genickbruch gestorben, sondern erstickt, was mindestens zwei oder drei Minuten in Anspruch
genommen hat. Er hatte keine unheilbare Krankheit, Selbstmord aufgrund schlechten Gesundheitszustands scheidet folglich aus.
Die Leiche weist keine offenkundigen Spuren von Gewaltanwendung auf, bis auf ein verdächtiges Hämatom sowie leichte Hautabschürfungen
an der rechten Schläfe, als hätte man dem Kopf mit einem schweren, relativ weichen Gegenstand einen Schlag versetzt, beispielsweise
mit einem Sandsack. Laut Gerichtsmedizin reichte das Trauma jedoch nicht aus, um den Exitus herbeizuführen, höchstens Bewußtlosigkeit,
doch dies läßt sich nicht zweifelsfrei ermitteln. Die Hände der Leiche waren auf dem Rücken gefesselt, wie genau, ist nicht
bekannt, da die Fesseln durch die Helfer gelöst wurden; die Handgelenke weisen keine tiefen Einschnitte auf, das heißt, das
Opfer könnte sich auch selbst gefesselt haben, um eine spätere Selbstrettung zu verhindern.
Die toxikologische Analyse hat geringe Spuren von Kokain und Benzodiazepin nachgewiesen. Ersteres benutzte Herr Ferretti vermutlich,
um sich aufzuputschen, womöglich zu sexueller Leistungssteigerung, letzteres, um Angstgefühle und Panikattacken zu bekämpfen.
Oder vielleicht«, |60| fügte er mit einem Schmunzeln hinzu, »um sein Gewissen ruhigzustellen. Er hatte winzige Tintenflecken an Daumen und Zeigefinger
der linken Hand …«, und hier hielt er inne, um auf einen Zettel zu schreiben: Kontrollieren, ob Linkshänder, »… aber für die
Eintragungen auf seinen Notizblock hatte er einen Bleistift verwendet, der sich in der Hemdtasche fand. Die Flecken an den
Fingern schienen frisch zu sein, vom selben Tag, auch wenn dies nicht mit absoluter Sicherheit bestimmt werden kann. Außerdem:
Wenn der Schiedsrichter vor, während oder nach dem Spiel etwas mit Kugelschreiber geschrieben hat – wo ist dann das Schriftstück
abgeblieben? und wo der Kugelschreiber selbst? Wichtig: Vom Notizblock fehlt ein Blatt – das Blatt vor der Liste mit den Gelben
Karten aus dem Spiel. Doch besagtes Blatt könnte auch zu einem anderen Zeitpunkt abgerissen worden sein.« Er hielt erneut
inne und notierte: 1. Kugelschreiber und etwaiger Zettel.
»Sowohl auf dem Stuhl wie auf dem Tisch wurde Erdreich gefunden. Es stimmt mit den Proben von den Schuhsohlen überein und
stammt vom Spielfeld. Geht man von der Selbstmordtheorie aus, dann ist Ferretti zuerst auf den Stuhl gestiegen, um den Lampenschirm
vom Haken zu nehmen. Als er merkte, daß er den Lampenschirm nicht zu fassen kriegte, stieg er auf den Tisch, von dem er sich
hinabstürzte; oder er stieg zuerst auf den Tisch, befestigte das Seil, rückte den Tisch weg, stieg auf den Stuhl und erhängte
sich. Die zweite Hypothese ist die kompliziertere, aber laut Gerichtsmediziner und Psychiater die wahrscheinlichere. Denn
es erfordert eine gehörige Portion Mut, von einem Tisch zu springen, während die Hemmschwelle, einen Stuhl umzukippen, deutlich
niedriger ist. In beiden Fällen jedoch gibt es ein Gegenindiz: Wenn er vom Tisch gesprungen wäre, hätte sein Leichnam den
Rand des Tisches berühren müssen. Der Stuhl, im anderen Fall, hätte sich unter seinen Füßen befinden |61| müssen. Der Hausmeister, der als erster das Zimmer betrat, sagt jedoch aus, daß sich sowohl Stuhl wie Tisch in deutlichem
Abstand von der Leiche befanden. Dessen ist er sich sicher, weil er, als er sich in den Raum stürzte, um nach den Beinen des
Opfers zu greifen, auf kein Hindernis stieß. Der Stuhl befand sich links vom Schiedsrichter, mindestens anderthalb Meter entfernt.
Der Tisch war zur Rechten, mindestens einen halben Meter entfernt. Der Hausmeister erinnert sich, daß er, während er die Beine
des Opfers hielt, den Tisch nicht berührte. Sicher, der Hausmeister könnte sich irren oder lügen, aber er schien mir bei klarem
Verstand und kooperativ.« Luciani
Weitere Kostenlose Bücher