freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
Frau oder das Fräulein, das eben vorbeigekommen ist
…? Ja, ich glaube, ich kann mich erinnern, aber ich habe nur ihr Kleid bewundert.«
»Meine Herren, Chef, das wird jeden Tag schlimmer mit dir. Apropos: Weißt du, daß du einen neuen Spitznamen hast?«
»Noch einen?« Marco Luciani rang sich ein Lächeln ab. Seine Beamten erfanden häufig neue Spitznamen für ihn, meistens spielten
sie auf seine Magerkeit oder seine Eßgewohnheiten an, und Giampieri kam immer gleich angerannt, um sie ihm brühwarm aufzutischen;
vielleicht wollte er verhindern, daß Luciani selbst dahinterkam, oder vielleicht wollte er ihn auch necken. Er hatte eine
Zeitlang »Kommissar Magrett« geheißen, dann »Salzlette«, »Schwarze Spinne«, dann »Manutebol«, nach einem klapperdürren Basketballspieler.
Der jüngste war »Inspektor Colomba«, nachdem er beim Osterumtrunk praktisch unter Zwang eine Scheibe
colomba
2 gegessen hatte. Er hatte sie jedoch zuerst halbiert und das Zitronat, die Glasur und sämtliche Mandeln entfernt .
»Ein neuer. Und der ist nicht schlecht: Savonarola.«
|57| »Savonarola? War der denn dünn?«
»Das spielt nicht auf die Figur an, sondern auf die geistige
Anpassungsfähigkeit, die Bereitschaft, Regeln zu brechen, über die Stränge zu schlagen.«
Marco Luciani hob das Kinn, schaute in den Himmel und sagte beseelt: »Bruder Girolamo. Die Geißel der Verderbten. Hart, aber
gerecht, wie es sich für einen echten Chef gehört. Das gefällt mir.«
»Du weißt, wie er geendet hat, oder?«
»Sicher. Irgend jemand hat ihn auf dem Scheiterhaufen verbrannt, um seinen Posten zu übernehmen. Aber mach dir keine falschen
Hoffnungen.«
Bevor er nach Hause ging, versuchte er noch einmal die Handynummer anzurufen, die er in Ferrettis Brieftasche gefunden hatte.
Eine Kontrolle im Kommissariat hatte ergeben, daß die Nummer auf eine gewisse Maria de Remedios, Brasilianerin, wohnhaft in
Mailand, Via Manzoni, eingetragen war. Aber unter der Adresse war sie schon seit mindestens drei Monaten nicht mehr anzutreffen.
Das Mädchen lebte mit einer regulären Aufenthaltsgenehmigung im Land, war weder vorbestraft noch als Prostituierte bekannt.
Das bedeutete, daß sie gewieft war und man sich ihr mit Samthandschuhen nähern mußte. Marco Luciani hatte überlegt, ob er
sie mit Hilfe der Technik-Abteilung aufspüren sollte, doch dann hatte er sich für eine traditionelle Vorgehensweise entschieden.
Er wollte ihr Vertrauen gewinnen. Er spürte instinktiv, daß dies eine wichtige Spur sein konnte, und er wollte sie alleine
verfolgen, auf seine Art.
Er wählte die Nummer. Eine Frauenstimme antwortete nach dem vierten Klingeln.
»Wer spricht?«
»Guten Tag. Mein Name ist Marco, ich bin ein Freund von Tullio.«
|58| Stille.
»Tullio Ferretti, der Schiedsrichter. Ich denke, Sie wissen bereits …«
»Ja.« Die Brasilianerin atmete heftig, es war deutlich, daß sie aufgewühlt war. »Was willst du?«
»Können wir uns sehen?«
»Nein, ich arbeite zur Zeit nicht.«
Der Kommissar beschloß, aufs Ganze zu gehen. »Es geht nicht um … Arbeit. Ich wollte dich etwas wegen Tullio fragen.«
»Bist du von der Polizei?« fragte sie alarmiert.
»Nun … ja. Aber du brauchst keine Angst zu haben.
Ich will nur etwas verstehen.«
Die Brasilianerin unterbrach die Verbindung. Marco Luciani versuchte noch einmal anzurufen, aber sie hatte das Handy abgeschaltet.
Er ging nach Hause. Er hatte weder zu Mittag noch zu Abend gegessen, aber bei dem Currygeruch, der im Treppenhaus hing, verging
ihm der Appetit. Er setzte Wasser auf und brühte sich einen schwachen, aber stark gezuckerten Tee, in den er eine halbe Zitrone
preßte. Dann setzte er sich an den Schreibtisch, öffnete die oberste Schublade und holte das kleine Aufnahmegerät heraus,
das er bei komplizierten Fällen zu Hilfe nahm. Durch lautes Sprechen konnte er die Dinge besser auf den Punkt bringen, Zeugenaussagen,
Indizien und Gutachten miteinander verknüpfen und seine Schlüsse daraus ziehen. Und wenn er seine Aufnahmen abhörte, wozu
er offengestanden selten kam, dann erkannte er manchmal Schwachstellen in seinen Gedankengängen oder sah bestimmte Aspekte
in neuem Licht.
Er drückte den Aufnahmeknopf und fing an, in bürokratischem Ton zu sprechen. Er nannte Tag, Monat, Jahr und Tatort, dann den
Namen des Opfers und alle spezifischen |59| Fakten des Falles. Dies tat er weniger für sich selbst als vielmehr für den Fall, daß
Weitere Kostenlose Bücher