freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
unterbrach ihn Urd.
»Nein?«, sagte Thor. »Und wer ist es dann, auf dessen Erscheinen deine Schwestern warten?«
»Der, dessen Wort wir predigen, Thor«, antwortete Urd ernst. »Der Gott des Lichtes und Herr der Stürme und des Donners. Thor.«
»Ich weiß«, sagte Thor verärgert, »aber –«
»Hast du es dann immer noch nicht verstanden, du Dummkopf?«, unterbrach ihn Urd sanft. »Sie warten auf dich. Erinnere dich!«
Und als hätten ihre Worte eine Schleuse in seinem Innern geöffnet, brach die Flut verschütteter Erinerungen in ihm los, und plötzlich wusste er, was damals geschehen war, bevor er im heulenden Sturm erwacht war, von Wölfen umgeben, erkannte mit einer geradezu halluzinatorischen Klarheit, wer er war und woher er kam, und das Begreifen war zugleich ein unendlicher, tödlicher Schmerz und desen unverhoffte Heilung.
Er erinnerte sich …
18. Kapitel
E r hatte zahllose Stürme erlebt, aber niemals einen wie diesen. Er würde ihn töten.
Wenn man es genau nahm, dann war er schon tot.
Vor drei Tagen war er zur Jagd aufgebrochen, an einem kalten, aber sonnigem Tag, hatte das kleine Dorf am Fuße der Berge verlassen und die Spur der letzten Herde aufgenommen, die sich vor Einbruch des Winters auf den Weg über die Berge und in wärmere Gefilde machte, um Nahrung für sich und seine Familie zu beschaffen. Ihre Vorratskammern waren gut gefüllt. Seine Frau hatte das Fleisch der Tiere gesalzen, die er den Sommer über erlegt hatte, die Felder hatten reiche Ernte gebracht, und auch der kleine Fluss, der sich am nördlichen Rand des Dorfes entlangschlängelte und mit seinen Stromschnellen und Felsen ein natürliches Wehr bildete, das den Kindern das Angeln erleichterte, war in diesem Sommer vor Fischen geradezu übergequollen, und nicht nur sie, sondern das ganze Dorf hatte auch dieses Geschenk der Götter dankbar angenommen. Niemand musste Angst haben, im nächsten Winter zu hungern oder zu erfrieren. Nicht wenige Männer hatten sogar darauf verzichtet, auf die letzte Jagd des Jahres zu gehen.
Auch seine Frau war dagegen gewesen. Sie hatte ihn angefleht, nicht zu gehen, zuerst gebettelt, dann gezürnt und schließlich noch einmal gebettelt, bei ihr und den Kindern zu bleiben, statt den langen gefährlichen Weg in die Berge hinauf einzuschlagen. Aber er hatte gespürt, dass der kommende Winter hart und außergewöhnlich lang werden würde; vielleicht länger und härter als jemals ein anderer zuvor. Die Alten hatten es gesagt, und auch die geheimen Zeichen derNatur verrieten, dass etwas Großes bevorstand – und nichts Gutes. Vielleicht entschied ein zusätzliches Stück Wild über Leben und Tod eines seiner Kinder oder seiner Frau.
Also war er aufgebrochen und hatte seine weinenden Kinder und eine verbitterte Frau zurückgelassen.
Vielleicht war das das Schlimmste überhaupt. Der letzte Blick, mit dem sie ihm nachgesehen hatte, war voller Zorn gewesen.
Das war drei Tage her. Jetzt lag er hier, am Grunde einer jäh aufklaffenden Felsspalte, die er im Schneesturm zu spät gesehen hatte. Seine Beine waren gebrochen, sein linker Arm, auf den er mit dem ganzen Gewicht seines Körpers gefallen war, zerschmettert, und er konnte sich nicht bewegen, Jeder Versuch, sich auch nur zu der kleinsten Regung zu zwingen, endete in einer Flut so grässlicher Schmerzen, dass seine Schreie selbst das Heulen des Sturmes übertönten. Er würde sterben, und wenn er ehrlich war, dann sehnte er den Moment herbei, an dem ihn die große Dunkelheit endlich von Schmerzen und Furcht erlöste.
Aber so leicht machte es ihm das Schicksal nicht.
Mindestens ein Dutzend Mal war er eingeschlafen – oder hatte das Bewusstsein verloren – und genauso oft wieder aufgewacht, von einem hilflosen Zorn auf die Götter erfüllt, denen er sein Leben lang Ehrerbietung geschenkt und geopfert hatte und die es ihm vergalten, indem sie ihm den grausamsten aller Tode schenkten. Sein Körper, auf dessen außergewöhnliche Kraft und Robustheit er immer so stolz gewesen war, wurde nun zu seinem ärgsten Fluch, denn ein weniger starker Mann wäre längst an den Folgen seiner Verletzungen gestorben.
Nun aber war das Ende nahe. Zwei Tage Fieber, Blutverlust und Kälte forderten ihren Preis. Es fiel ihm immer schwerer, den Unterschied zwischen Schlaf und Wachen zu erkennen. Vielleicht träumte er auch jetzt, denn er glaubte Schatten zu sehen, die sich in seinen Augenwinkeln bewegten und deren Flackern nicht zum Toben des Schneesturms
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