freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
passte. Manchmal waren da auch Geräusche: Stimmen, die in einer unbekannten Sprache redeten, ein düsteres, an- und abschwellendes Heulen aus tierischen Kehlen, das Geräusch schwerer Stiefelsohlen auf hartgefrorenem Boden.
Nichts davon war real, das wusste er. Seine Gedanken begannensich zu verwirren, und erneut machte sich Bitterkeit in ihm breit. Er würde seine Frau und seine Kinder nie wieder sehen, und sein noch ungeborener Sohn würde seinen Vater niemals kennenlernen. Das hatte er akzeptiert. Das Leben war endlich, und jedermann wusste, dass das Schicksal keine Gerechtigkeit kannte, sondern nur Willkür. Aber er zürnte den Göttern. Sein Leben lang hatte er ihnen geopfert, hatte so viele, so unendlich viele Stunden mit Beten verbracht und auf so vieles verzichtet, um ihren harten Gesetzen zu folgen, und er hätte sich gewünscht, dass sein letzter Gedanke seiner Familie galt. Warum war das letzte Bild, das sie ihm schickten, nicht das Antlitz seiner Frau?
Weil deine Götter schwach sind.
Auch die Stimme war nur eine Illusion – was sollte sie sonst sein? Drei Mannshöhen über ihm heulte der Sturm um die Ränder der Felsspalte, in die er gestürzt war, und sein Brüllen verschluckte jeden anderen Laut, so wie sein Toben schon die ganze Welt verschlungen hatte. Es gab keinen Weg hier herunter. Aber die Stimme war da, und er meinte auch einen Schatten im Augenwinkel wahrzunehmen, groß und düster und auf schreckliche Weise bedrohlich. War das der Tod? Dann sollte er kommen.
Wenn du es möchtest.
Er war jetzt sicher, zu träumen, denn die Stimme nahm nicht den Umweg über sein Gehör, sondern erklang direkt in seinem Kopf. Dennoch versuchte er sich zu bewegen, um die unheimliche Gestalt genauer zu erkennen. Wenn dieses Trugbild das Letzte war, womit ihn die Götter verhöhnen wollten, dachte er trotzig, dann sollten sie es doch tun.
Und nicht einmal das können sie , fuhr die spöttische Stimme fort. Sie sind schwach. Selbst zu schwach, um grausam zu sein.
Aber nicht zu schwach, um ihn in seinen letzten Momenten noch zu verhöhnen, dachte er bitter. Trotzdem versuchte er noch einmal, den Kopf zu drehen, um die unheimliche Gestalt anzusehen.
Das einzige Ergebnis seiner Anstrengung war eine neuerliche Woge aus Schmerz, die ein gequältes Wimmern über seine Lippen kommen ließ.
Der Schatten bewegte sich. Ein rauchiger Finger, der nicht wirklich existierte, aber dennoch tausendmal kälter war als der Sturm, berührte seine Stirn, und der Schmerz erlosch und nur einen Moment später auch die Furcht. Er konnte sich immer noch nicht bewegen, doch nun ging die Gestalt mit langsamen Schritten um ihn herum. Sie war groß, sehr groß – noch ein gutes Stück größer als er, was ihn trotz allem erstaunte – und breitschultrig, schien aber trotz allem keine wirkliche Substanz zu haben, so als hätte der Sturm selbst versucht, zum Menschen zu werden.
Wer bist du?
Auch diese Frage stellte er nicht laut. Seine Kehle war längst zu Eis erstarrt und mit seinem eigenen Blut verklebt, sodass jeder Atemzug zur Qual wurde. Dennoch antwortete der Schatten.
Vielleicht der, der dich rettet.
Das verstand er nicht. Es gab keine Rettung für ihn. Sein Körper war zerschmettert, und keine Macht der Welt konnte die schrecklichen Wunden noch heilen.
Ich kann es … obwohl das nicht wirklich stimmt. Du kannst es selbst. Dein Körper ist stark. Ihr alle seid so unendlich stark, und ihr wisst es nicht einmal. Etwas wie ein Lachen erklang, aber er war nicht sicher; vielleicht bedeutete es auch das genaue Gegenteil. Was sind das für Götter, die so viel von euch verlangen und euch so wenig dafür geben?
Das verstand er noch sehr viel weniger. Der Schemen wollte ihn verhöhnen. Er war geschickt worden, um ihn ein letztes Mal zu quälen. Warum starb er nicht endlich?
Wenn das dein Wunsch ist … aber du kannst auch leben. Es ist ganz allein deine Wahl.
Leben? Wider jede Vernunft explodierte eine wilde Hoffnung in ihm. Du meinst, ich könnte … zurück? Meine Frau und –
– deine Kinder wiedersehen? Und so tun, als wäre nichts geschehen? Ein rauchiges Kopfschütteln, mehr zu ahnen als wirklich zu erkennen. Nein. Dieses Leben ist vorbei, mein Freund. Für sie bist du tot, so wie sie für dich.
Der Schrecken, der diese Worte begleiten sollte, kam nicht, allenfalls ein schwaches Echo des Schmerzes, den er erwartete. Er hatte längst mit seinem Leben abgeschlossen.
Ich kann dir helfen zu leben. Mehr nicht.
Und was
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